Einleitung

Die Geschichte der Schriftrollen vom Toten Meer ist vielschichtig. Wir wissen, dass die Essener in Qumran eine antike Bücherei unterhielten. Uns ist auch bekannt, dass die Essener einige Zeit vor der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer 70 n. Chr. die Schriftrollen ihrer Bücherei in Tontöpfe verwahrten und diese versiegelten, damit sie zukünftigen Generationen erhalten blieben. Während all der Jahrhunderte haben Beduinen immer wieder einige dieser Schriftrollen in Höhlen nahe bei oder um Jerusalem herum gefunden und zu verkaufen versucht. 

Wie berichtet wollte der syrische Patriarch im 11. Jahrhundert solche Schriftrollen kaufen. Er bot Geld an für alle antiken Abschriften aus jedem biblischen Buch. Im späten 17. Jahrhundert waren viele Gerüchte über solche Käufe in Umlauf. Eine ganze Zusammenstellung solcher Schriftrollen tauchte auf. Man nannte sie „Die Testamente der 12 Patriarchen“. Angeblich handelte es sich dabei um die Schriften der 12 Söhne Jakobs, nämlich Ruben, Simeon, Levi, Juda, Issachar, Zebulon, Dan, Naphtali, Gad, Asser, Joseph und Benjamin. Es waren ihre letzten Worte an ihre Kinder. Hauptsächlich ging es um moralische Fragen, aber sie enthielten auch Bezüge zu antiken Prophezeiungen.

Gelehrte hatten zwei bedeutende Probleme mit diesen Testamenten: 1. Die Prophezeiungen zielten hauptsächlich auf den Messias und stimmten ganz und gar mit christlichen Lehren überein. 2. Die hebräischen Originalschriften gehören privaten Sammlern und den Gelehrten standen zum Studium nur griechische Übersetzungen zur Verfügung. Da also keine hebräischen Originale zur Verfügung standen und die Prophetien zu christlich anmuteten, wurden „Die Testamente der 12 Patriarchen“ als christliche Erzählliteratur abgetan. Sie sind immer noch Band 8 der „Vor-Nicänischen Väter“ (von insgesamt 10 Bänden), die im späten 19. Jahrhundert zusammengestellt wurden. Das alles änderte sich mit der Entdeckung der Schriftrollen vom Toten Meer.

Zwischen 1948 und 2016 wurden 12 Höhlen in Qumran gefunden, in denen man viele Schriftrollen aus der vor-christlichen Zeit fand. Diese Schriftrollen stellte man zu 40 Bänden zusammen, welche den Titel „Entdeckungen in der jüdischen Wüste“ bekamen. Darin findet man jedes Foto, jede Beschreibung und Übersetzung dieser Rollen. Auch wurden Fragmente von 5 der 12 Schriften der Söhne Jakobs gefunden, nämlich von Levi, Juda, Naphtali, Joseph und Benjamin. In diesem Buch stellen wir die Teile der 12 Testamente heraus, die sich unter den Schriftrollen vom Toten Meer befinden. Dadurch können sie abschätzen, wie viel vom ursprünglichen Hebräischen noch übriggeblieben ist.

 

Die anderen Testamente

Sowohl im Talmud der orthodoxen Juden (rabbinische Auslegung der 5 Bücher Mose), als auch in den Schriften der Essener-Gemeinschaft findet man die Legende, dass alle Patriarchen von Adam bis Aaron (75 oder mehr Personen) Propheten waren und sie alle ihren Nachkommen Testamente hinterließen. Mit Aaron begann ein neues, befristetes Priestertum, das bis zum Messianischen Zeitalter – wie Elia es nannte – dauern sollte. Wir nennen es heute Gemeindezeitalter. Wirklich erstaunlich ist, dass die Schriftrollen vom Toten Meer uns nicht nur von dieser Legende erzählen, sondern tatsächlich 5 der 12 Testamente der Söhne Jakobs enthalten. Außerdem weisen sie Fragmente aus 8 dieser Testamente auf.

Wir besitzen Fragmente der Testamente von Enosch (Adams Enkel), Henoch, Lamech (Noahs Vater), Noah, Abraham, Jakob, Levi, Judah, Naphtali, Joseph, Benjamin, Kohat (Sohn Levis und Vater von Amram), Amram (Vater von Mose, Aaron und Miriam) und Aaron.

Was wir in den Fragmenten der Schriftrollen vom Toten Meer lesen, deckt sich genau mit der lateinischen Version der „Testamente der 12 Patriarchen“, die im späten 19. Jahrhundert veröffentlicht wurde.

Verglichen mit den Fragmenten des Buchs Henoch, die in den Schriftrollen vom Toten Meer zu finden sind, haben wir heute eine moderne englische Version des „Antiken Buches von Henoch“, die aus der äthiopischen Version des ganzen Buches übersetzt wurde. [Eine deutsche Version des Buches ist ebenfalls erhältlich.]

Wenn man auf eine der Schriftrollen vom Toten Meer blickt, sieht man eine Überschrift wie z.B. 1Q21. Das wäre das „Testament von Levi“. Das „Q“ in dieser Beschriftung meint, dass es in Qumran gefunden wurde. Die Zahl „1“ bedeutet, dass diese Schriftrolle in Höhle 1 von 12 entdeckt wurde. Und „21“ heißt, dass es die 21. Schriftrolle aus dieser Höhle ist.

Das Jubiläenbuch erwähnt die Kräuterheilkunde-Bücher von Noah und Sem (10,13), die Bücher von Noahs Vater (12,27), die Bücher von Henoch, Noah und den Vätern (21,10) und das Buch Amrams (46,10). Jubiläum 45,16 sagt, dass Jakob all diese Bücher der Väter seinem Sohn Levi übergab. Jubiläum 32,21-26 berichtet, dass Jakob mit einer Abschrift seines Testaments beerdigt wurde. Vielleicht wurden das und noch weitere Testamente zusammen mit den Patriarchen in der Höhle Machpelah in Hebron beigesetzt.

Testamente der Schriftrollen des Toten Meeres

  • Enosch (4Q369)

  • Henoch (4Q201)

  • Lamech (1Q20, 4Q535)

  • Noah (1Q19, 1Q20)

  • Abraham (1Q20)

  • Jakob (4Q537)

  • Levi (1Q21)

  • Juda (3Q7, 4Q538-9)

  • Naphtali (4Q215)

  • Benjamin (1Q538)

  • Kohath (4Q542)

  • Amram (4Q543-549)

  • Aaron (4Q540, 4Q541)