5.Der Lehrer

Ihr Söhne, gehorcht der Unterweisung des Vaters, und gebt Acht, damit ihr zu unterscheiden wisst! (Sprüche 4,1)

Jetzt kommen wir zum Kapitel, auf das wir alle nur gewartet haben. Endlich sprechen wir das Thema an, was ein Vater denn aktiv zur Unterweisung seiner Kinder beitragen kann. Dieser Bereich wird in der Heimschulbewegung vielfach missverstanden, und ich kann es kaum erwarten, damit zu beginnen. Aber zunächst eine kleine Erinnerung an Prioritäten.

Der weiseste je lebende Mensch hat uns ein Beispiel hinterlassen und wir tun gut daran, darauf zu achten. Salomo war zur Unterweisung seiner Kinder so hoch qualifiziert, wie ein Vater das überhaupt nur sein kann. In negativer Hinsicht hat er die Früchte von Bedürfnisbefriedigung und Sünde geschmeckt. Zur positiven Seite ist zu vermerken, dass er Sohn eines Mannes nach Gottes Herzen war (1. Samuel 13,14). Er war auf eine besondere Art und Weise als Sohn Gottes angenommen (1. Chronik 22,10). Außerdem hat er eine umfassende und gründliche Bildung genossen, die Wissen aus beinahe jedem Bereich von Regierungsgeschäften über Architektur zur Musik und Biologie umfasst. Menschen aus aller Herren Länder kamen, um seine Weisheit zu hören. Er verfasste oder „sprach“, wie uns mitgeteilt wurde, 300 Sprüche und 1005 Lieder (s. 1. Könige 4,29-34). Mit anderen Worten: Dieser Mensch war kein Dummkopf.

Wenn wir aber versuchen, seine wichtigsten Lehren für seine Kinder zu sammeln, dann stellen wir fest, dass er kein Buch über Literatur, Wissenschaft oder Mathematik geschrieben hat, obwohl er das ohne Zweifel hätte tun können. Stattdessen schrieb er ein Buch über Charakter und Weisheit, bekannt unter dem Namen „Die Sprüche“. Woher ich das weiß? Weil das Buch der Sprüche im Alten Testament bekanntermaßen von Salomo geschrieben worden ist. Auch wissen wir, dass es für seine Söhne geschrieben wurde, weil der Ausdruck „mein Sohn“ immer und immer wiederholt wird. Einige wichtige Abschnitte beginnen so und fünf Kapitel werden damit eröffnet.

Aber was hat das alles mit dem Preis für Erdnüsse in Paris zu tun? Nun, Väter sind wichtige Lehrer für ihre Kinder und die wissenschaftlichen Fächer sollten nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Es ist wunderbar, wenn die eigenen Kinder gute Noten schreiben, wenn man denn Tests benutzen will. Aber das Allerwichtigste, was ein Vater seinen Kindern je wird beibringen können, hat nichts mit Wissen, sondern mit Charakter zu tun. Wenn sie sich also unter Druck fühlen, mit Wissen vollgestopfte Superkinder hervorzubringen, vergessen sie bitte nicht, dass der Erfolg im Leben nicht mit dem Wissen über das Gute beginnt, sondern mit dem tugendhaften Charakter.

Nach dieser kleinen Aufmunterung am Rande kommen wir jetzt zu der Frage, wie ein Vater in den Unterricht für seine Kinder mit eingebunden werden kann. Die meisten Väter arbeiten die erste Schicht und sind daher am Morgen nicht zu Hause – und das gerade dann, wenn offensichtlich die meisten Familien in den Büchern arbeiten. Andere Väter arbeiten des Nachts und schlafen am Morgen. Deshalb ist es unrealistisch für die meisten Männer, das tun zu wollen, was die Mütter tun, wenn sie es denn tun. Es gibt aber viele Wege teilzunehmen und alles was es dazu braucht ist Interesse und ein wenig Kreativität von ihrer Seite.

Heimschuleltern scheint es manchmal etwas an Fantasie zu fehlen, wie den meisten anderen auch. Wo haben wir nur die Idee her, dass man nur lernen würde, wenn die Schulbücher zwischen 8:00 Uhr morgens und mittags geöffnet sind? In jeder wachen Minute lernen wir etwas. Eigentlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass wir selbst im Schlaf mit unserem Unterbewusstsein lernen. Es ist also nicht zu abwegig, wenn wir behaupten, dass wir jederzeit lernen. Wenn der Vater sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hat, dass man an jedem Ort und jederzeit lernen kann, dann kann er Myriaden von Wegen finden, um das zu unterstützen. Einige dieser Wege sind ziemlich direkt, andere eher indirekt. Wir sollten auf der Hut sein, um die Gelegenheit nicht zu verpassen.

Jetzt lassen sie uns aber in die Einzelheiten gehen. Wie wird ein Vater zum Lehrer? Um unsere Kreativität nicht zu sehr zu belasten, lassen sie uns mit dem Vorhersehbaren anfangen und dann zu dem Farbenprächtigeren und Spontaneren vorstoßen. Letzteres macht, nebenbei bemerkt, am meisten Spaß.

 

Gelenktes Lernen

Nur als Diskussionsgrundlage lassen sie uns annehmen, dass sie der typische Vater mit einer typischen Lebensführung wären. Ihre Frau unterrichtet ihre Kinder tagsüber, wenn sie nicht zu Hause sind, weil sie im Büro ihr sechsstelliges Gehalt verdienen. Na gut, dies Gehalt ist nicht so typisch, aber man darf ja noch träumen.

Mit ein klein wenig Flexibilität können sie dennoch an den Unterrichtsereignissen teilnehmen. Eine Möglichkeit wäre, einfach selbst ein Fach zu unterrichten, wie Mutter es ja auch tut. Wenn sie z.B. in Mathematik besser sind als ihre Frau, dann könnten sie ihr vorschlagen, Mathe auszulassen, damit sie es später unterrichten können. Wenn sie dann von der Arbeit kommen und aus ihrem Mercedes steigen (jetzt träumen sie schon wieder), können sie zu ihrem Kind oder ihren Kindern gehen und die Mathebücher öffnen.

Ein Freund von mir ist Rechtsanwalt. Er bringt seinen Kindern am Abend nach der Arbeit Geschichte bei. Warum? Weil er darüber viel mehr weiß, als seine Frau. Es ist klar, dass selbiges auch für jedes andere akademische Fach gilt. Die einzige mögliche Schwierigkeit liegt in einem funktionierenden Stundenplan. Das ist ganz offensichtlich eine Binsenweisheit. Dabei tun sie am Nachmittag grundsätzlich dasselbe, was ihre Frau am Morgen schon mit den Kindern unternommen hat. Trotzdem würden sie erstaunt sein, wenn sei wüssten, wie viele Eltern scheinbar niemals darüber nachdenken.

Eine andere ziemlich direkte Anwendung von der Zeit eines Vaters nenne ich ergänzendes Lehren. Das passiert, wenn der Vater die Kinder in dem jeweiligen Fach nicht regelmäßig unterrichtet, sondern nur dazukommt, wenn Hilfe benötigt wird. Als mein Sohn Tim das Lesen lernte, kam solch eine Gelegenheit für mich. Marilyn hatte ihm die Laute der Buchstaben beigebracht, aber er war noch nicht in der Lage, sie auch zu Worten zusammenzuschleifen. Ich setzte mich mit ihm auf dem Schoß hin und fing an, Worte aus seinem Arbeitsheft zu lautieren. Tim brauchte nicht lange, um zu verstehen, wie man die Worte selbständig zusammenzufügen kann.

Später rief Marilyn mich bei unserem Sohn Josh zu Hilfe. Er knackte gerade an der Bruchrechnung und konnte das Ganze nicht so recht zusammenkriegen. Das ist nichts Ungewöhnliches, auch wenn Multiplikation und Division dieselben Mechanismen nutzen. Mutter hatte ein wenig Probleme damit, Josh da hindurch zu lavieren, deshalb holte sie mich eines Abends zu Hilfe. Manchmal bringt eine andere Person auch eine andere Sichtweise und Herangehensweise an ein Problem mit und so funktionierte es mit Josh. Mithilfe von Mutters Unterricht über Tage und ein wenig Hilfe von mir nach der Arbeit oder nach dem Abendbrot packte es Josh schließlich ganz gut.

Sie können auch beim Unterricht helfen, wenn sie Folgefunktionen übernehmen, wie das Korrigieren und Nachsehen oder das Verleihen von Auszeichnungen. Natürlich brauchen Kinder nicht für jede getane Kleinigkeit einen Orden, dennoch bringt es einen erstaunlichen Motivationsschub, wenn die Kinder merken, dass der Vater sich für die Sache interessiert. Wenn man auch nur schreibt „Gut gemacht!“ oder einen Smiley-Aufkleber oben auf der Seite platziert, dann weiß ein Kind, dass ihr Vater seine Bemühungen anerkennt und schätzt.

Mit meinem ältesten Sohn Ricky spielte ich gewöhnlich das „Gewinne-gegen-Vater“-Spiel. Ich nahm ihn am Abend mit all seinen Arbeitsheften und Papieren auf meinen Schoß und erklärte ihm, dass er letztendlich ein oder zwei Aufgaben nicht gemacht hätte. Er schwor natürlich, dass ich falsch liegen würde. Wir gingen dann alle Aufgaben zusammen durch, wobei alle sich nach und nach als richtig erwiesen. Ich bemühte mich, es immer so aussehen zu lassen, als wenn er bei nicht vollständig erledigten Aufgaben mehr nachzuholen hätte, als es in Wirklichkeit der Fall war. Als wir uns dem Ende unserer Überprüfung näherten, verhielt ich mich mehr und mehr irritierend und bedrohend und versicherte ihm, dass er gleich etwas übersehen würde. Er wurde dagegen immer aufgeregter und schadenfroher, bis wir schließlich das letzte Problem abschlossen. Dann sagte ich immer ganz ruhig und bedrohlich: „Ricky, du hast deinen Vater besiegt.“ Er nickte und kicherte, gespannt wie ein Bogen. Plötzlich rief ich aus: “Du darfst deinen Vater nicht schlagen!!“ und warf ihn auf den Fußboden, kitzelte ihn durch und schrie weiter irgendetwas. Als ich ihn schließlich losließ, rannte er zu seiner Mutter und verkündete seinen großen Triumph.

Auch das Aufstellen des Lehrplans ist solch eine Sache, bei der ein Vater mit einbezogen werden sollte. Ob das eine bedeutende Aufgabe ist, hängt davon ab, wie sie ihren Unterricht aufbauen. Einige Familien bestellen sich einen ausgefeilten Lehrplan von einem Verlag und befolgen ihn aufs Genaueste. Andere gehen ins entgegen gesetzte Extrem und stellen sich ein Programm aus Teilen zusammen, die sie aus einem dutzend verschiedener Quellen haben. Bitte vergessen sie dabei nicht, dass Gott und der Herausgeber solcher Lehrpläne zwei verschiedene Ansichten vom Lebensplan haben. Niemand wird jemals alles zwischen die beiden Buchdeckel eines Lehrplans packen können, was ein Kind wissen sollte. Deshalb bedarf es einer ganzen Anzahl von Entscheidungen durch die Eltern.

Vielleicht bemerken sie, dass der von ihnen ausgewählte oder zusammengestellte Lehrplan etwas vermissen lässt, was sie für ihr Kind als wichtig empfinden. Ich hatte schon erwähnt, dass meiner Meinung nach jeder junge Mensch, insbesondere jeder Junge, als Teil seines Unterrichts trainiert werden sollte, wie er sich später seinen Lebensunterhalt selbst verdienen kann. Mit anderen Worten: er sollte ein Handwerk lernen. Es mag auch sein, dass sie das Programm als biblisch zu oberflächlich ansehen. Der Vater sollte auf so etwas achten. Eine alte rabbinische Weisheit sagt: „Wer seinem Sohn weder die Tora (das Gesetz), noch ein Handwerk beibringt, lässt ihn zu einem Lügner und Dieb werden.“

Das Gegenteil gilt ebenso. Oft werden sie einen fertigen Lehrplan in anderer Hinsicht als nicht genügend an ihre Situation angepasst empfinden, weil er immer Dinge enthält, die ihre Kinder, oder jedenfalls einige ihrer Kinder, nicht benötigen.

Höhere Mathematik ist eines meiner persönlichen „Favoriten“. Infinitesimalrechnung und Trigonometrie sehen gut aus in einem Lehrbuch, aber die meisten von uns werden das im wirklichen Leben nicht brauchen. Insbesondere wenn wir an unsere Mädchen denken, sollten wir länger darüber nachsinnen, ob unsere Kinder wirklich sehr weit in diesen Dingen kommen müssen. Nicht dass ich gegen die höhere Bildung wäre, aber wir sollten Prioritäten setzen. Wenn ihre Tochter 16 Jahre alt ist und Gott nicht durchblicken lässt, dass sie etwas anderes als Ehefrau und Mutter werden soll, dann wird sie höchstwahrscheinlich keine Infinitesimalrechung und Trigonometrie benötigen. Sie muss aber eine Menge Hauswirtschaft lernen, also alles, mit dem ihre Mutter jeden Tag umgeht. Ich sage nicht, dass ich einem Mädchen ein Studium der höheren Mathematik verbieten würde, sondern dass ich es in den meisten Fällen einfach überflüssig finde.

Ein anderes Vorurteil von mir hat mit Wortarten zu tun. Die Wortklassen waren in der Gesamtschule alljährliches Thema. Ich erinnere mich genau an den Unterschied zwischen Nomen und Verben, auch wenn sonst nichts in meinem Gedächtnis hängen blieb. Was man nicht braucht, das vergisst man. Da ich jahrelang keine Verwendung für dieses Thema hatte, vergaß ich auch das noch. Ich habe es immer genau nach dem Test darüber vergessen. Bis heute habe ich dieses Wissen solange nicht gebraucht, bis ich anfing, anderssprachige Bibeln zu studieren. Durch die Benutzung von Konkordanzen und anderen Studierhilfen fand ich heraus, welchen Sinn Wortarten haben.

Man kann also sagen, dass es mir zu früh beigebracht wurde oder wurde ich einfach nur schlecht unterrichtet?! Mein Sprachwissen ist nicht groß genug, um diese Frage zu beantworten. Trotzdem ist es interessant, dass mir niemand antworten kann, wenn ich meine Lieblingsfrage stelle: „Was ist ein Prädikatsnomen?“ Nur Leute, die erweiterte Sprachstudien betrieben haben, können mir das erklären, wobei es sich dabei fast ausnahmslos um solche handelt, die Sprachen unterrichten. Was hilft es also denjenigen, die vielleicht einmal Lehrer werden? Ich kann mich nicht erinnern, jemals jemandem begegnet zu sein, der ein Prädikatsnomen definieren kann, ohne auf einer weiterführenden Schule gewesen zu sein. Dennoch haben die meisten von uns Unterricht über Wortarten gehabt. Was ist nun falsch dabei?

Ich bin mir über die Antwort nicht ganz sicher. Aber zurück zu den Prioritäten. Hätte man mir die Wahl gelassen, dann hätte ich lieber mehr Geschichte, Wirtschaftslehre und Wissenschaft gelernt. Ich wünschte, man hätte mich die Föderalistische Zeitschrift (The Federalist Papers) und einige andere Artikel aus Zeitungen um 1850 herum lesen lassen, die Ursachen für den amerikanischen Bürgerkrieg diskutierten. Genau dasselbe gilt für ihre Kinder. Es gibt zu viele gute Bücher in der Welt, als dass ein Kind alle lesen könnte. Es ist Teil ihrer Aufgabe, diejenigen herauszusuchen, die am Wichtigsten für ihren Nachwuchs sind.

Keine Besprechung über Bildung ist komplett, wenn man nicht auch über Exkursionen redet. Ah, Ausflüge. Als Kind haben sie mir sehr gefallen, weil sie eine wunderbare Abwechslung von der stressigen und langweiligen Paukerei in der Klasse waren. Jetzt sehe ich die Sache natürlich mit anderen Augen – jetzt, wo ich selbst Elternteil bin und weiß, was es bedeutet, 20 oder mehr Familien für einen Bildungsausflug unter einen Hut zu bekommen. Eins ist mir dabei klar geworden: am Sinnvollsten ist eine Exkursion, wenn die Anzahl der Gruppenmitglieder nicht größer als die einer Familie ist.

Väter könnenhier Sinnvolles leisten. Wenn er nämlich etwas über das Besichtigungsobjekt weiß oder wenn er willig ist, Nachforschungen anzustellen und es sich zu merken, dann kann er eine gute Führung machen. Ich führte meine Familie einst durch den „Booker T. Washington“1-Nationalpark. Das ist eine Rekonstruktion des Bauernhofs in Virginia, auf dem Booker als Sklavenjunge noch vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg zur Welt kam. Wir sahen uns die Video-Präsentation im Besuchsraum an und spazierten dann auf einem Rundweg durch den Park, blieben an Holzpferchen, Scheunen, Schmieden usw. stehen, um es uns anzusehen und darüber zu reden, was wohl zu Bookers Zeit hier so vorgefallen ist. Meine Frau und ich freuten uns über gute Gespräche mit unseren Kindern, außerdem lernten wir alle viel über Washingtons Leben. Einige Monate später unternahmen wir dieselbe Tour noch einmal mit einigen Freunden von außerhalb. Sie haben nur zwei Kinder und doch lenkten sich die Kinder gegenseitig ab. Die Erwachsenen mussten sich anstrengen und höflich miteinander umgehen. So konnten wir den eigentlichen Dingen, weswegen wir dorthin gefahren waren, wenig Aufmerksamkeit schenken. Wenn wir mit einer ganzen Reisegesellschaft dort gewesen wären, hätten wir wahrscheinlich sogar vergessen, warum wir eigentlich dort gewesen sind.

Lassen wir uns also ein wenig Führung durch den Vater gefallen. Es reicht doch völlig aus, wenn die Leiter ihrer örtlichen Heimschuleltern-Treffen sonstige Aktivitäten planen. Diese Ausflüge werden aber nicht annähernd so effektiv für ihre Kinder sein wie Familienausflüge.

 

Freie Erkundungen

Freie Erkundungen unterscheiden sich von geregeltem Lernen, indem sie nicht von den Eltern geleitet werden, sondern von den Schülern. Das Kind kann hier seinen eigenen Interessen folgen, anstatt ein organisiertes Lernprogramm von jemand anderem übergestülpt zu bekommen. Es ist eine sehr wertvolle Lernmethode, weil es die natürliche Neugier des Kindes als Motivation nutzt. Fast jeder lernt einfach besser, wenn er etwas aufnimmt, was er auch wirklich wissen will.

Kinder scheinen von Natur aus neugierig zu sein. Dennoch verlieren sie nach einigen Jahre Schule ihre Lernfreude und müssen gezwungen werden, weil sie sonst die Tests nicht bestehen. Einmal hörte ich einen Lehrer sich laut darüber wundern.

„Wie kommt es nur“, sagte er, „dass man nicht schnell genug reden kann, um Fünfjährigen alle Fragen zu beantworten, während wir Fünftklässlern praktisch ein Loch ins Gehirn schlagen und alle Lerninhalte einfüllen müssen?“

Die Antwort findet man in der Tatsache, dass wir sie bereits fünf Jahre in der Schule haben. Ich glaube, es liegt hauptsächlich am Unterricht selbst, der die natürliche Lernfreude abwürgt. Das liegt teilweise an der Reglementierung des ganzen Lehrbetriebs, als auch an dem Wahnsinn der Vermittlung von Bildung in Gruppen Gleichaltriger. Glücklicherweise wird das Gröbste beim Hausunterricht mit seiner individuellen Unterweisung automatisch ausgemerzt.

Eine großartige Sache beim Hausunterricht, die so weit von der Schulreglementierung entfernt ist, wie es überhaupt nur sein kann, ist die freie Erkundung. Wenn wir unsere Kinder ermutigen oder es ihnen auch nur erlauben, allem nachzugehen, was ihre Vorstellungskraft anregt, dann erlauben wir ihnen dadurch, wirkliche Kinder zu sein. Haben sie je bemerkt, wie ein gerade mal wenige Monate altes Baby seine Umgebung mit den Augen absucht? Es ist sehr schwer, einem Baby etwas Sichtbarem, einem Klang oder irgendeinem Objekt auszusetzen, ohne dass es fasziniert ist. Bieten sie ihm alles an, was sie so in ihrer Tasche haben, oder einfach nur die Brieftasche ihrer Frau, und es wird automatisch alles genauestens untersuchen. Innerhalb von Sekunden wird es seine Form erfasst haben, seine Farbe, sein Gewicht, wie es klingt, wenn es auf den Boden fällt, und wie es schmeckt. Es weiß instinktiv, wie es all seine fünf Sinne auf das Problem ansetzen soll.

Lehrer bemerken manchmal, dass ihre Schüler diese natürliche Fähigkeit der eigenständigen Erkundung verloren haben. Höchstwahrscheinlich hatten alle das als Kleinkind, aber schon nach wenigen Jahren verliert es sich oder schwächt sich stark ab. Wenn man ihnen eine neue Aufgabe gibt, dann zögern sie oftmals oder begegnen ihr sogar ängstlich. Aber wenn sie sich eine Aufgabe setzen dürfen, so kann man bemerkenswerterweise beobachten, wie sie zu der Kreativität und Klugheit zurückfinden, die sie als Babys auszeichnete.

Wir haben alle schon viel darüber gehört, dass Kinder oftmals den Umgang mit Computern schneller als jeder Erwachsene lernen. Könnte man diese Geschicklichkeit teilweise damit erklären, dass Kinder normalerweises Interesse an Computern haben? Ich denke schon.

Die Möglichkeit, ein Kind zum Verfolgen seiner Interessen ermutigen zu können, ist ein großer Segen für Eltern. Denken sie für eine Minute an ein Kind, das Fahrradfahren lernt. Es wird sie solange nerven, bis sie sich schließlich Zeit nehmen, mit ihm hinauszugehen, es auf der Straße herumzuschieben, es sicher aufrecht auf dem Rad zu halten und gleichzeitig die Lokomotive zu spielen. Zuerst scheint es vor dem Hinfallen Angst zu haben, aber es lässt sie nicht aus der Verantwortung, so dass sie sich nicht davonstehlen können. Nein, immer wieder müssen sie anpacken, bis es sich anfühlt, als hätten sie mit ihren Füßen längst eine Rinne in die Fahrbahn gelaufen.

Später wird es den Bogen heraushaben und es allein versuchen wollen. Dann wird es sie natürlich nur noch damit nerven, dass sie im Hof stehen und zusehen müssen. Ungefähr zur selben Zeit wird es das „Glück“ von aufgeschlagenen Ellenbogen und blutigen Knien erleben. Aber wird es dadurch etwa ausgebremst? Nicht im Traum. Es wird wieder und wieder einen Versuch wagen, manchmal zu Mutter rennen, um getröstet zu werden, aber früher oder später – eher früher – wieder auf dem Sattel sitzen und es noch mal versuchen.

Wieso setzen sich Kinder dieser Tortur aus? Weil das Fahrrad ein Verlangen nach Wissen und Aktivität in Gang setzt. Es scheint fast, als wenn die Neugier ausreicht, um eine Menge von Hindernissen überwinden zu können. Deshalb lernen und behalten Kinder all das so gut, was sie interessiert.

Es gehört deshalb teilweise zum Aufgabenbereich eines Vaters, alles Mögliche zu tun, damit seine Kinder ermutigt und in die Lage versetzt werden, ihren Interessen nachzugehen. Die Sache wird zum Teil dadurch noch interessanter, dass jedes Kind vom anderen verschiedene Interessen hat. Das mag Gott auch in Sprüche 22,6 im Sinn gehabt haben, wo uns gesagt wird, dass wir ein Kind seinem Weg gemäß erziehen sollen. Beachten sie bitte, dass hier nicht gesagt wird, dass wir Kinder einem für alle vorgegebenen Weg gemäß erziehen sollen, sondern die Stelle spricht von einem individuellen Weg. Erziehe ein Kind seinem Weg gemäß. Ich habe Leute ihre Verwunderung ausdrücken hören, dass die Kinder von einigen Leuten gut geraten, während andere Kinder große Probleme machen. Sie reden etwa so: „Ich verstehe das nicht. Der kleine Jonny hat sich so gut gemacht, aber Tommy hat sich zu einem richtigen Chaoten entwickelt. Ihr Vater hat sie doch beide völlig gleich behandelt.“

Gerade das mag das Problem gewesen sein. Der Vater behandelte beide genau gleich. Was aber für Jonny richtig war, war falsch für Tommy. Verschiedene Kinder benötigen unterschiedliche Behandlung. Einige brauchen mehr Disziplinierung, andere weniger. Einige müssen viel an die Hand genommen werden, andere brauchen ihre Freiheit. Und natürlich verändern sich ihre Bedürfnisse mit ihrem Alter. Lassen sie mich einige der Begebenheiten in meiner eigenen Familie erzählen, die genau das und unser Bemühen um Anpassung an die verschiedenen Bedürfnisse und Interessen unserer Kinder aufzeigen.

Als Ricky, unser erstes Kind, sechs Jahre alt war, fing er Feuer für Geschichte. Er konnte gut lesen, da er sich das Lesen mit vier Jahren selbst beigebracht hatte. Im Alter eines Erstklässlers – wenn er denn zur Schule gegangen wäre – nahm er sich ein Geschichtsbuch von den „A Beka Büchern“2 für die vierte Klasse. Er las es von der ersten bis zur letzten Umschlagseite durch. Er mochte es so gern, dass er es gleich noch einmal durchlas. Dann tat er es wieder und wieder, bis er es acht Mal gelesen hatte. Das alles passierte im Zeitraum eines Schuljahres – und zwar im ersten Schuljahr.

Ich bin beileibe nicht brillant, aber das nahm ich doch als Hinweis, dass Ricky sich für Geschichte zu interessieren schien. Deshalb versuchte ich ihn mit vielen historischen Büchern zu versorgen und sah mich auch nach anderen Möglichkeiten der Ermutigung um. Wir fanden heraus, dass es in öffentlichen Büchereien eine Menge historischer Werke, wie z.B. Biographien, gab. Unser Bundesstaat Virginia ist auch für einen Historikfan eine richtige Goldgrube. Deshalb unternahmen wir von Beginn an Exkursionen nach Appomattox (wo der amerikanische Bürgerkrieg endete), zum Geburtsort von Booker T. Washington usw.

Im Gefolge seines historischen Interesses entwickelte Ricky ein Gefühl für öffentliche Angelegenheiten. Als ich eines Abends im November 1980 zum Haus eines Freundes hinüberging, um die Rückkehrer von der Präsidentschaftswahl zu sehen, wollte Ricky alles darüber wissen. Er fragte, was das bedeutete, für wen ich gestimmt hätte, wer wohl meiner Meinung nach gewinnen würde usw. Er war erst acht Jahre alt, aber schon bereit, Partei zu ergreifen und dafür zu kämpfen. Ich ergriff die Gelegenheit beim Schopf, erzählte ihm das Wenige, was ich wusste, und entfachte seine Neugier für diese Dinge.

Im Laufe der Zeit entdeckten wir einige gute Parteipublikationen und forderten Abonnements an. Ricky las sie hingebungsvoll. Schnell lernte er, wie man sich selbst in den politischen Prozess einbringt, und lange bevor er alt genug war, um den Führerschein zu machen, fuhr ich ihn zu Wahlbundesbüros, um ihm beim Briefumschlagstopfen, Plakataufstellen, bei Literaturverteilung und allen anderen Dingen zu helfen, die ein Kind tun kann.

Die Jahre gingen ins Land und Ricky baute eine beeindruckende Sammlung von politischer Klugheit, Erfahrungen und Kontakten auf. Mit neunzehn Jahren ließ er sich zum Vorsitzenden der Bezirkspartei nominieren, und zwar gegen den 42-jährigen Amtsinhaber, der das Amt drei Wahlperioden innegehabt hatte. Rick schlug ihn deutlich und gewann zwei Jahre später auch die Wiederwahl gegen einen anderen starken Gegner. Das ist alles schon mehr als ein Jahr her. Seitdem hat er den Vorsitz aufgegeben, um ein Christliches College zu besuchen und Kommunikationswirt zu werden. Er will politischer Kolumnist für viele Zeitschriften werden.

Wahrscheinlich lohnt es sich, wenn ich hier das weiter oben angeführte Zitat von Dr. Raymond Moore wiederhole: „Ein Highschool-Abgänger geht mit einem Abschluss zum College, während es für einen Heimschüler nur eine Wiederaufnahme bedeutet.“ Ricky hatte kein Diplom, trotzdem empfing ihn das College mit offenen Armen. Er erzählte mir später, wie er in der Reihe für die Anfängereinweisung stand und Professoren zugeteilt bekam, die er von der Politik her kannte. Sie kamen auf ihn zu und begrüßten ihn wie einen alten Freund, sehr zum Erstaunen der 18-jährigen um ihn her. Er bekam so viel Zuschüsse und Stipendien, dass ich bis heute nichts für seine College-Ausbildung bezahlen musste. Durch die finanziellen Zuwendungen und sein Erspartes aus Jobs konnte er alles selbst bezahlen.

Seine politische Erfahrung hat sich auch noch in anderer Weise bezahlt gemacht. Er hat dadurch ein viel besseres Empfinden dafür, welche Kurse wichtig für ihn sind. Zusätzlich verbessert er beständig die Schulbücher seiner Klasse, da einige dieser Bücher politisch „korrekte“ Unwahrheiten enthalten, die den anderen Studenten nicht aufgefallen sind, aber ihm nicht entgehen. Erfahrungen aus seinen öffentlichen Reden halfen ihm, Ansager bei einer Christlichen Radiostation zu werden, die dem College angeschlossen ist. Seine Briefe an den Redakteur und einige Artikel, die er im ersten Jahr für die Schülerzeitschrift schrieb, brachten ihm die Position eines Meinungsredakteurs in seinem zweiten Jahr ein.

Hat sein Vater sich selbst etwas von all diesen Leistungen zuzuschreiben? Nein. Nicht dass ich es nicht gern getan hätte, aber natürlich gebührt die Ehre wegen Rickys natürlicher Begabung hauptsächlich Gott, etwas auch seiner Mutter wegen ihrer Charakterformung und Rick selbst wegen seiner Sorgfalt. Ich beanspruche nur ein klein wenig Ehre, weil ich getan habe, was ich konnte, ihn zu ermutigen und mit verschiedenen Lernmitteln auf seinem Weg versorgt habe.

Mein Sohn Tim war von Anfang an ein praktisch veranlagter Junge, deshalb war er der erste, dem wir einen Werkzeugkasten kauften. Bis heute bevorzugt er normalerweise neue Werkzeuge als Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk. Natürlich interessieren ihn auch andere Dinge, selbst mit Rick zusammen in politische Aktionen verstrickt zu werden (genau wie die anderen Kinder). Aber handwerkliche Arbeit war immer schon seine Leidenschaft. Heute, mit 21 Jahren, arbeitet er Vollzeit für unsere Gemeinde und Christliche Schule, wo er die Gebäude wartet und Verbesserungen anbringt.

Der jüngere Bruder Nathan liebte als Kind Hasen. Deshalb kauften wir ihm einen Hasen und einen Käfig, damit er sich um das Tier kümmern konnte. Zuvor hatten wir ihm fast jedes Buch über Hasen aus der Bibliothek besorgt und er hatte sich einen beeindruckenden Wissensschatz über Aufzucht, Versorgung usw. angeeignet. Nate geht so einfühlsam mit Tieren um, dass wir dachten, er würde später einmal mit Tieren arbeiten, was sich aber bis jetzt nicht bewahrheitet hat. Die Naturzeitschriften, die wir ihm besorgten, erregten nicht nur sein Interesse, sondern ebenso das seiner kleineren Geschwister.

Tochter Katie liebt das Schreiben, seit sie es gelernt hat. Ich muss sie ständig von meinem Computer wegscheuchen, damit ich meine eigene Arbeit tun kann. Sie ist erst 15 Jahre alt, schreibt aber schon etliche Jahre lang Geschichten von beachtlicher Tiefe. Besonders beeindruckt haben mich ihre geschriebenen Dialoge, was für mich eine Herausforderung wäre, sie aber scheint das so nebenbei zu lernen.

Ich habe versucht, Kate in der Ausformung ihres Interesses zu helfen, indem ich sie ermutigte und ihr Hilfsmittel finanzierte, die etwas damit zu tun haben, wie z.B. Kunst- und Kalligraphie-Unterricht. Aber ich war nicht bereit, meinen Computer dafür aufzugeben.

Als ich erzählte, dass ich bei jedem Kind versucht habe, es zu freien Erkundungen zu ermutigen, haben sie vielleicht bemerkt, dass es zwischen den Kindern einen Übersprungeffekt gibt. Ricks Interesse für Politik hat auch zur Einbeziehung verschiedener Brüder und Schwestern von ihm geführt, ganz zu schweigen von der gelegentlichen Einberufung der Eltern. Tims werkzeugtechnische Heldentaten haben seine jüngeren Brüder bewogen, ihm zu helfen und eigene Projekte anzufangen. Nathans Begeisterung für Hasen kühlte schließlich in seiner Teenagerzeit ab und er vermachte Bugs Bunny seiner kleineren Schwester. Dieser Übersprungeffekt ist ein Teil der Dynamik, die dem Lernprozess Synergie3 verleiht. Jedes Kind hat seine eigenen Interessensgebiete, einige davon treten stark hervor, während andere schlummern oder vorübergehen. Aber wenn sie ihre Bücher, Lieblingstiere und Utensilien nach Hause bringen, dann wird jeder mit den Dingen konfrontiert, die der andere so faszinierend findet, und einige dieser Interessen sind ansteckend. Wenn der Vater gerade ein Kind in seinem Interesse bestärkt, dann unterrichtet er ein anderes seiner Kinder ebenfalls auf indirekte Art. Das ist ganz schön raffiniert.

Der Kern meiner Ausführungen ist: Achten sie auf die Interessen ihrer Kinder. Seien sie wachsam und wenn es sich für irgendetwas interessiert, finden sie Möglichkeiten, wie es mehr darüber lernen kann. Finden sie Mittel und Wege für ihr Kind. Mit anderen Worten, geben sie ihm die nötigen Lernmittel, wenn es die Richtung bestimmt hat.

Hier mag noch eine Ermahnung zur Vorsicht angebracht sein. Treiben sie diese Sache nicht zu weit; denn möglicherweise bilden sie sich nur ein, dass Johnny Handwerker ist, Tommy Bücherwurm und Susi eine kleine Tiernärrin. Es könnte sein, dass alle drei Beschreibungen für alle ihre Kinder passen. Stecken sie ihr Kind nicht in eine Schublade. Geben sie ihm die Freiheit, an vielen Dingen Interesse zu finden und in viele Bereiche hineinzuschnüffeln. Menschen sind sehr vielseitige Wesen, die sich voneinander unterscheiden, und jeder vereinigt viele Persönlichkeitsfacetten in sich. Ich nehme an, dass diejenigen Leute den größten Spaß im Leben haben, die viele Interessen haben und Zeit mit jedem einzelnen davon verbringen.

 

Beiläufiges Lernen

Wir sprachen über gelenktes Lernen, bei dem die Eltern einige Inhalte bestimmen, die ihre Kinder auf eine organisierte, geplante Weise lernen sollen. Dann kamen wir zur freien Erkundung, bei dem ein Kind Neugier bei einem gegebenen Thema zeigt und die Eltern nach Wegen suchen, um die Erforschung zu erleichtern. Jetzt kommen wir zu der vielleicht faszinierendsten Lernerfahrung überhaupt, dem beiläufigen Lernen. Beim gelenkten Lernen bestimmen die Eltern die Tagesordnung. Bei der freien Erkundung bestimmt es das Kind. Beim beiläufigen Lernen setzt Gott den Ablauf.

Mit dem Ausdruck „beiläufiges Lernen“ meine ich, dass wir von Begebenheiten lernen, die „einfach so“ passieren, statt dass eine Aufgabe gelöst wird oder wir etwas erforschen, über das wir ausdrücklich mehr wissen wollen. Wenn wir etwas zuvor Unbekanntes in einem Gespräch hören, ohne vorher eine Frage gestellt zu haben, dann liegt beiläufiges Lernen vor. Wenn wir auf einem Ausflug Dinge sehen, die uns vorher völlig unbekannt waren, dann ist das beiläufiges Lernen. Wenn wir ein Buch einfach so lesen und dabei Neues aufschnappen, dann geschieht ebenfalls beiläufiges Lernen.

Wenn wir nur kurz darüber nachdenken, dann ist sofort klar, dass wir das Meiste unseres Wissens auf diese Weise gelernt haben. Die meisten Leute beherrschen ihre Sprache ziemlich gut, bevor sie je zur Schule gehen. Ein Kind hat also mehrere tausend Wörter gelernt, bevor es je ein Aussprache- oder Sprachbuch gesehen hat. Und Millionen anderer Wissensfragmente erlangen wir auf dieselbe Art und Weise. Keiner von uns kann sich erinnern, wann er das Schwerkraftgesetz entdeckt hat, dennoch kennen wir alle den Effekt auf uns. Erinnerungen von Formen, Farben, Temperaturen, Muster – nahezu alles davon haben wir durch beiläufiges Lernen aufgenommen. Diese Lernart umfasst alles, was wir durch zufällige Beobachtung in jeder wachen Minute zusammengetragen haben.

Ein Vater soll hierbei die Lernsituationen so erkennen und nutzen, wie sie kommen. Natürlich kann man nicht alle aufzählen, weil es viel zu viele sind und sie zu häufig auftreten. Aber es lohnt sich, ein Fingerspitzengefühl für solche Gelegenheiten zu entwickeln und die Besten voll auszunutzen. Wenn ihre Kinder sie das tun sehen, werden sie ebenfalls ihre Gelegenheiten so erkennen und ausnutzen, wie sie kommen.

Haben sie einen Garten? Dort liegt eine ganze Welt von Mathematik, Botanik, Zoologie und Chemie genau vor ihren erdigen Fingerspitzen. Haben ihre Kinder Haustiere? Sie können Fragen über die Tiere aufbringen, die ihre Kinder direkt auf die Fährte zum Lexikon setzen, wo sie diese beantwortet kriegen. Muss das Sensenblatt geschärft werden? Lassen sie sich beim Abschrauben helfen und erklären sie dabei, wie die Schräge über dem Scherblatt einen Luftzug von unten hervorruft und dadurch das Gras aufrecht stehen lässt, das dann geschnitten werden kann. Lernen sie, für all die Lernhäppchen um sie herum auf der Hut zu sein, die ihr Kind anregen werden, ebenfalls überall Wissensgewinn zu sehen.

Eins der wichtigsten Dinge, die sie tun können, ist ihr Haus mit guten Büchern zu füllen. Schmeißen sie ihren Fernseher raus, weil er die lebendige Lernliebe komplett killt, indem er den Kindern eine massive Dosis von Farbe, Formen, Klängen und Eindrücken eintrichtert, die seine Sinne überfluten und die natürliche Wachheit des Körpers unterdrücken. Gehen sie oft in die Bibliothek. Lassen sie die Kinder selbst Bücher heraussuchen, wobei sie als Elternteil natürlich auf den moralischen Gehalt achten werden. Sehen sie auch verschiedene Bücher für ihre Kinder durch, die diese von sich aus nie ansehen würden. Lassen sie diese Bücher „zufällig“ auf Betten, Couchtischen und anderen Orten liegen, wo sie wahrscheinlich bald mitgenommen und durchgesehen werden und so Interesse an Themen wecken, auf die ihr Kind ansonsten nicht gekommen wäre. Abonnieren sie Zeitschriften, in denen es um Wissenschaft, Geschichte, Geographie, Wirtschaft, Tiere und aktuelle Ereignisse geht. Lesen sie auch selbst darin und reden sie beim Abendessen von dem, was sie darin fasziniert hat. Ich rede hier nicht von Pflichtlektüre, sondern über das ehrliche Teilen von gefundenen Wissensbruch­stücken, die sie faszinierend fanden. Zeigen sie den anderen Familienmitgliedern interessante Bilder aus diesen Veröffentlichungen. Lassen sie diese in Sichtweite herumliegen.

Vor Jahren kam ich von der Arbeit nach Hause und erwähnte beim Abendbrot, dass wir einen Brasilianer neu eingestellt hatten. Ich erwähnte, dass es mich erstaunt hatte, dass Brasilianer Portugiesisch reden. Ich hatte nämlich gedacht, alle Südamerikaner sprechen Spanisch.

„Oh ja, Papa“, sprang sofort eines der Kinder darauf an. „Brasilien ist das einzige Portugiesisch sprechende Land in Südamerika. Der Rest spricht Spanisch.“

Ich fühlte, wie meine Augen aus ihren Höhlen traten. „Und woher weißt du das so genau, Dr. Einstein?“ fragte ich.

„Hab es irgendwo gelesen.“

Oh.

Als meine beiden ältesten Söhne noch sehr klein waren, bekam ich eine Lektion in Kinderverhalten, während ich ihnen beim Spielen zusah. Ricky, damals zwei Jahre alt, saß auf dem Wohnzimmerteppich und spielte mit einem Spielzeuglastwagen. Tim, damals beinahe ein Jahr alt, sah das Spielzeug und krabbelte unsicher darauf zu. Als er nahe genug dran war, um danach greifen zu können, sah Ricky seine bösen Absichten und brachte genügend Distanz zwischen Tim und den Lastwagen, um ihn vom Wegnehmen des Spielzeugs abzubringen. Es funktionierte natürlich nicht. Durch seinen unsicheren, schaukelnden Gang kostete es Tim eine ganze Weile, aber er blieb hartnäckig und schon bald wurde Ricky wieder angegriffen, als Tim auf seinen Bauch fiel und nach dem Spielzeug griff. Diesmal schaute Ricky sich verzweifelt nach Hilfe um. Dabei erblickte er in der Nähe ein zusammengeknülltes Druckerpapier. Er legte das Bündel vor Baby Tim und ging weg. Als Tim den Papierball sah, war er von seiner Oberfläche, der lustigen Form und Beschaffenheit fasziniert, und begann ihn fröhlich hin- und herzuwälzen. Er hatte den Lastwagen komplett vergessen und sein älterer Bruder konnte unbelästigt weiterspielen.

Wo hat Ricky nur gelernt, dass ein zusammengeknülltes Stück Papier für ein Baby solch einen Unterhaltungswert hat, das es betört werden kann, einen schönen Spielzeuglastwagen zu vergessen? Wir hatten Ricky viel vorgelesen, aber Dr. Spock4 war nicht unter den ausgewählten Autoren. Offensichtlich hatte er vorher seine Mutter beobachtet, wie sie einige alltägliche Dinge benutzt hatte, um Tim abzulenken. Das war beiläufiges Lernen, was sich so richtig ausgezahlt hat.

Reparaturen am Haus können einen Bildungswert haben. Einst hatten wir einen Riss in einer tragenden Mauer, die zusammen mit ihren meisten Bestandteilen ausgetauscht werden musste. Ich nutzte gleich die Situation aus und ließ meine Jungs die ganze Arbeit machen. Sie erneuerten die Isolierung, legten die Mauer trocken und strichen sie neu an. Niemand soll mir nachsagen können, dass ich mich nicht um die Bildung meiner Söhne kümmere.

Wenn ihre Kinder noch klein sind, wird solch ein Projekt verlangsamt und schwer durchführbar sein. Es ist dann keine Erleichterung und Beschleunigung, wenn man ihre „Hilfe“ hat. Sie müssen da ein wenig differenzieren und die Kinder nicht in Projekte einbinden, die wegen der Gefahr, dem Zeitaufwand oder Sonstigem, unangebracht sind. Aber immer, wenn sie eine Reparatur vornehmen müssen, denken sie nach, ob eins oder mehrere von ihren Kindern beim Mitmachen etwas lernen könnte. Dachdecken oder Ölwechsel könnten ein Schlüssel sein, um Interesse zu wecken oder Angst vor dem Unbekannten zu überwinden – einfach indem man das Kind dem Problem aussetzt.

Einmal haben wir beiläufiges Lernen in Form eines Vorspiels zum Biologieunterricht an einem Samstagmorgen wunderbar erfahren. Mit meinen älteren Jungs war ich in die Stadt gegangen, um etwas Gerümpel für ein Projekt im Haus zu sammeln. Auf unserem Heimweg kamen wir an einem toten Waschbär vorbei. Ich wusste, dass er noch nicht lange tot sein konnte, weil er auf unserem Hinweg noch nicht da gewesen war. Deshalb machte ich halt, warf den Waschbär auf unseren Kombi und fuhr heim. Das muss lustig ausgesehen haben – ein mit Vater, Jungen und Gerümpel vollgestopfter Kombi und ein verstorbener Waschbär auf der „Schrotflinte“ oben drauf.

Ich gebe zu, mein Plan war noch unvollständig. Ich hatte vor, den Jungs beizubringen, wie man einen Wachbären häutet (jeder sollte das können) und den Kadaver in den Wald zu werfen. Aber als sie erst sahen, wie interessant der „reizende“ Verstorbene ohne Kleider aussah, da wollten die Jungs natürlich wissen, was unter der Oberfläche noch alles zu finden war. Daher setzten wir einen äußerst professionellen Einschnitt und spekulierten, welches Stück Fleisch wohl welches Organ wäre. Einiges hatte bereits Hinweise an sich: Das Paar entlüfteter kleiner Taschen waren zweifelsohne die Lungen, die langen, klumpigen Röhren mussten die Gedärme sein und der Magen konnte sowohl durch die Verbindung mit den Gedärmen, als auch durch seinen Inhalt, der ehrlich gesagt nicht so sehr ansprechend war, identifiziert werden. In der „Unterwelt“ des Abgeschiedenen gab es noch einige undefinierbare Dinge, von denen ich aber nicht wusste, wie man das jeweils nennen sollte. Deshalb mussten Milz, Bauchspeicheldrüse, Dioden, Kolben, Differentiale usw. im Dunkeln verborgen bleiben.

Eine weniger blutrünstige, aber nicht minder wertvolle Gelegenheit zum beiläufigen Lernen kreuzte unseren Weg, als wir beim Bau unserer Gemeindeschule halfen. Wir waren mit einigen anderen Männern und Jungen wieder draußen zum Unkraut zupfen und Fegen, um den Spielplatz zu vergrößern. Die Jungs waren damals noch ziemlich jung und zeigten für die Käfer und anderen Kreaturen, die wir aus ihren Verstecken zogen, ziemlich viel Interesse.

„Seht euch das an, Jungs. Das ist fantastisch“, sagte ich und zeigte auf den Fußboden. „Hier sieht man wie sich die kleinen Biester auf drei Arten selbst schützen können. Tim, weißt du, was Deckung, Versteck und Tarnung ist?“

Natürlich wusste er es nicht. Der kleine Kerl war ja auch erst vier Jahre alt.

„Seht her. Schaut mal, Jungs“, sagte ich, um sie zum Kreis zusammenzuholen. „Seht ihr diese kleine Kröte? Sie sieht fast aus wie der Fußboden, nicht wahr? Sie ist braun, klumpig und sitzt ganz still da. Sie scheint fast mit dem Dreck und den Blättern zu verschmelzen. Wenn man wie die eigene Umgebung aussieht, so dass man dich zwar sehen kann, aber niemand von dir Notiz nimmt, nennt man das Tarnung. Jetzt seht euch das an“, sagte ich und stupste die Kröte mit meiner Fingerspitze in den Rücken. „Seht nur, wie sie ins Gras springt, wo wir sie überhaupt nicht mehr sehen können. Das nennt man ein Versteck aufsuchen. Sie versteckt sich, das heißt sie ist verborgen. Wenn sie aber in ein Loch im Boden springt, so dass wir sie nicht einmal dann fangen könnten, wenn wir wüssten, wo sie ist, nennt man das Deckung aufsuchen. Seht nur, wie sie sich versteckt. Sie ist durch eine Bedeckung geschützt.“

Natürlich ist mir klar, dass ich hier eine große Show abgezogen habe. Aber die Jungs waren noch klein und mochten es.

Dann erklärte ich ihnen einiges, was ich über Tarnung, Deckung und Verstecken beim Militär gelernt hatte. Das faszinierte sie. Ich finde, es ist normal für Jungs, dass sie Soldaten spielen wollen.

Urlaub ist eine andere Gelegenheit, um das Ergreifen von Gelegenheiten zu lernen. Wenn sie sich erst einmal entschlossen haben, wo sie hinfahren, können sie einige Bildungsmöglichkeiten mit einplanen. Trotzdem wird es noch genügend ungeplante Möglichkeiten geben. Die Kinder könnten z.B. gern etwas Geographisches lernen, indem sie die Karte studieren und die Fahrtroute mit einem Stift nachmalen. Vielleicht möchten sie ja auch einige Bücher über den Zielort lesen oder einige interessante Orte am Wegrand besuchen. Ein Strandbesuch kann Lektionen übers Leben am Meer, Geographie, Geschichte, Navigation usw. bieten. Seien sie kreativ.

Hoffentlich hat sich dies Kapitel nicht angehört, als wenn ich auf sie herabsehen würde. Ich habe lediglich versucht, einige Ideen weiterzugeben, die mir beim Unterrichten meiner Kinder geholfen haben. Wenn ich ihnen den Eindruck vermittelt habe, sie wären ein Naivling, der keine Ahnung von all dem hat und es auch nicht praktiziert, dann entschuldigen sie bitte. Ich habe lediglich auf meine eigene Zeit als junger Mann zurückgeblickt und bin erschrocken, wie doof ich selbst war. Ich kann es nicht ertragen, dass noch irgendjemand außer mir all das auf die harte Tour lernen muss. Wenn ich also zuviel des Guten weitergegeben habe, vergeben sie mir und versuchen sie stattdessen, meine guten Seiten zu sehen. Zum Beispiel könnten sie noch einmal das erste Kapitel lesen, wo ich angemerkt habe, dass Ehemänner nicht zu viel Hausarbeit verrichten sollten.

 

1 Booker Taliaferro Washington (1856-1915) wurde als Sklavenkind in Virginia (USA) geboren. Mit 9 Jahren wurde er frei und lernte Lesen und Schreiben. Er wurde zum afroamerikanischen politischen Leiter, Lehrer und Autor. Als herausragende Figur der amerikanischen Schwarzen beeinflusste er von 1890 bis 1915 stark die Geschichte der USA, indem er im Süden Amerikas viele Schulen für Schwarze gründete und darüber hinaus viel für die Versöhnung der verschiedenen Rassen tat.

2 A Beka Bücher (www.abeka.com) haben sich in Amerika der Aufgabe verschrieben, gute Erziehungsbücher aus christlicher Perspektive zu liefern.

3 Energie, die für den Zusammenhalt und die gemeinsame Erfüllung von Aufgaben zur Verfügung steht.

4 Dr. Benjamin McLane Spock (1903-1998) war ein amerikanischer Kinderarzt, dessen Buch “Baby and Child Care” (“Erziehung von Babys und Kleinkindern”, 1946) eines der größten Bestseller aller Zeiten wurde. Spock beeinflusste mehrere Elterngenerationen, flexibler mit ihren Kindern umzugehen und sie als Individuen zu behandeln. Mit psychoanalytischen Ideen stellte er die Erziehung zur Disziplin in Frage. Er setzte z.B. durch, ein schreiendes Kind immer aufzunehmen, ohne Angst zu haben, es damit zu verwöhnen.