Teil II: Schule und Sozialisation

4. Das Schulpersonal

Die meisten von uns können sich an einen oder mehrere Erwachsene aus ihrer Schulzeit erinnern, die gut zu uns waren. Wir sollten alle dankbar sein, dass Bildungseinrichtungen solche Leute anziehen, die Kinder mögen und ihnen helfen wollen. Ich habe gute Erinnerungen an meine Englischlehrerin, die ich in der gymnasialen Oberstufe hatte. Ihr Name war Adonna Blair und sie war meine Lieblingslehrerin. Ich denke, ich war auch einer ihrer Lieblinge, weil sie sich mit mir abgemüht hat. Ich war der Klassenclown (irgendjemand musste es tun) und verbrachte die meiste Zeit in der Klasse damit, auf dem Mülleimer neben ihrem Schreibtisch zu sitzen und ihr Gesellschaft zu leisten. Manchmal arbeitete ich sogar in meinen Büchern am Ende ihres Schreibtisches. Bei anderen Gelegenheiten bot ich meine Hilfe an, Klassendiskussionen zu leiten. Immer wenn ich eine Charakterrolle bei der Schulaufführung hatte, lobte sie mich am nächsten Tag vor der ganzen Klasse, dass ich bei weitem der beste Schauspieler gewesen wäre. Sie ermutigte mich, mit dem College weiterzumachen, obwohl ich die Schule hasste. Und wenn ich mich recht entsinne, schrieb sie mir sogar eine Empfehlung, die ihre Fantasie sehr strapaziert haben muss. Fräulein Blair schrieb mir im Sommer nach meinem Schulabschluss und ich schrieb zurück, verlor aber schließlich den Kontakt zu ihr. Auch wenn sie das Gymnasium lange vor unserm ersten Klassentreffen verließ, erinnere ich mich sehr gut an Sie. Ihr Vertrauen in mich, trotz meines widerlichen Benehmens, ermutigt mich heute noch. Wenn sie dies je lesen sollten, Fräulein Blair, so schreiben Sie mir doch bitte. Ich würde Ihnen gerne danken.

Einer von den prägenden Erwachsenen in der Schule, die ich selbst nicht gehabt habe, war ein spezieller Pädagoge namens Jackson. Herr Jackson wurde irgendwie auserwählt, mich eines Tages heimzufahren, während ich in der sechsten Klasse war und eine Grippe oder irgendetwas hatte. Kurz nachdem er das Schulgelände verlassen hatten, musste ich ihn bitten zu halten, sodass ich aussteigen und spucken konnte. Es hat nicht sehr viel Spaß gemacht. Aber er stieg mit mir aus, legte seine Hand auf meinen Rücken und hielt meine Stirn fest, während ich schwer atmend im Straßengraben stand. Ich kann mich an nichts erinnern, was Herr Jackson je gesagt hat, aber die Berührung eines mitfühlenden Erwachsenen ist etwas, das einem Kind im Gedächtnis bleibt, manchmal über 30 Jahre lang.

Ich erinnere mich an andere freundliche, motivierende Erwachsene in der Schule. Herr Muir mochte die Geschichten, die ich schrieb. Herr Smith, der stellvertretende Schulleiter, behandelte mich mit Respekt. Der Trainer Stranathan lachte über meine Streiche.

Heute weiß ich auch von anderen ernsthaften Lehrern. Unsere Gemeinde hat eine christliche Schule und ich kenne einige vom Personal und aus der Lehrerschaft. Ihre Hingabe und Beziehung zu den Schülern beeindrucken mich immer wieder. Durch verschiedene Geschäfts- und andere Kontakte habe ich auch eine Reihe von Pädagogen kennen gelernt und sie mit dem Vorurteil konfrontiert, dass alle Lehrer im öffentlichen Schulsystem humanistische Umstürzler sind.

Trotzdem können all die Erwachsenen, die einen positiven Einfluss auf mich gehabt haben, nicht die Erinnerung an die anderen auslöschen, deren Einfluss anders geartet war. Ohne Zweifel sind einige meiner Erinnerung nach all diesen Jahren verschwommen, aber ob genau oder nicht, so sind Sie mir doch geblieben.

Schon in der zweiten Klasse machte ich Bekanntschaft mit der Schulgestapo. Meine Lehrerin, Frau Franklin, gehörte zu denen, die spöttische und verletzende Bemerkungen machen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie ein Kind, das irgendetwas von ihr wollte, komplett ignorierte, obwohl sie in der Lage gewesen wäre, ihm zu antworten. Und alles nur, weil sie die Art und Weise der Ansprache nicht mochte. Ich nutzte die Ruhe in der Klasse, um an der Klassenuhr zu messen, wie lange ich die Luft anhalten konnte. Ich war ziemlich gut darin. Als Frau Franklin das bemerkte, war ihr stille Missbilligung nicht genug. Sie lenkte die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse auf mich. Frau Franklin hatte Lieblinge, nämlich hochmütige kleine Mädchen, die ihre Aufgaben schnell erledigt hatten und der Lehrerin mit speziellen Hilfeleistungen zur Hand gingen. Sie wurden nicht zurechtgewiesen, wenn einige von ihnen sich am Papierkorb trafen, um Müll wegzuwerfen und zu schwatzen. Derselbe Haufen sammelte sich am letzten Schultag unterwürfig geifernd um ihren Schreibtisch und erzählte ihr, was für eine gute Lehrerin sie doch gewesen sei. Ich empfand nichts als Verachtung für diese Kriecher. Als Abschiedsgruß gab ich lediglich der Hoffnung Ausdruck, sie nie wieder sehen zu müssen.

Als ich in die dritte Klasse kommen sollte, hasste ich es, wieder zur Schule gehen zu müssen. Zumindest hatte ich die Gewissheit, dass meine Lehrerin nicht so schlecht wie im letzten Jahr sein konnte. Ich hatte mich getäuscht, sie war schlimmer.

Fräulein Tinker war eine alte Jungfer mit breitbesohlten Schuhen, den Blick ständig auf ihre Hände gerichtet und mit ständig hochgeschobenen Ärmeln, die den Blick auf muskulöse Unterarme freigaben. Ich kann mich nur an wenige ihrer Aussagen erinnern. Dennoch schaffte sie es, mir ständig klar zu machen, dass ich unglaublich dumm sei. Als meine Mutter zum Elternabend ihren Klassenraum betrat, stand Fräulein Tinker am Fenster und starrte nach außen. Dann drehte sie sich zu meiner Mutter um und sagte direkt ohne einen Gruß: „Ihr Sohn ist ausgesprochen klein!“ Welch ein Charmeur.

Der erste Tag in der vierten Klasse kam trotz meiner heißen Gebete immer näher. Und als ich meiner freien Zeit im Sommer schweren Herzens Lebewohl sagte, hatte ich zumindest die Gewissheit, dass meine neue Lehrerin besser als die beiden vorherigen sein musste, wer immer sie auch sein würde. Das ist wohl der hoffnungslose Optimismus der Jugend. Raten Sie mal, wer als Lehrerin von der zweiten in die vierte Klasse versetzt wurde!

Meine einzige Erinnerung an Frau Franklins Unterricht in der vierten Klassen ist die Zeit, als Glenn in Schwierigkeiten kam. Er war ein schwacher Junge mit wenig Selbstbewusstsein, der nicht einmal dann auf ihn gerichtete Aufmerksamkeit vertragen konnte, wenn er aufstand und zum Abfalleimer ging. Stattdessen zerknüllte er seine Papiere und schob sie sich tief in seine Hose. Die Erinnerung an Frau Franklins Antwort, als sie das bemerkte, treibt mir die Tränen in die Augen, wenn ich nur darüber schreibe. Sie lenkte die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse darauf und häufte Spott auf Glenn. Der kleine Sünder verkroch sich in seinen Stuhl und versuchte verzweifelt niemanden anzusehen. Seine Beschämung war fühlbar, als er sich wand, mit seinen Füßen scharrte und nervös auf seiner Unterlippe herumkaute. Vor einigen Jahren erzählte ich diese Begebenheit einem Freund, der 16 Jahre lang Lehrer und Schulverwaltungsbeamter war. Er sagte mir: „Rick, das passiert hundertfach jeden Tag in Klassenräumen in ganz Amerika.“ Daran besteht kein Zweifel. Es ist ein Grund mehr, dass ich meine Kinder niemals zur Schule senden werde.

Könnte der Frust, der aus diesem emotionalen Missbrauch resultiert, ein Grund für die Kriminalität sein? Ich denke schon. John Holt schrieb einmal, dass seinem Empfinden nach Schuleinrichtungen deshalb so oft Ziel von Vandalismus sind, weil Kinder das zurückzahlen, was ihnen in der Schule angetan wurde. Sie sehen die ganze Anlage (Gebäude, Grundstück und Ausrüstung) als ein Misshandlungsinstrument und Gefängnis. Natürlich gilt das nicht für alle Kinder, einige gehen gern zur Schule. Die anderen sehen das so: Erwachsene, durch die sie verletzt wurden, haben Vergeltung verdient. Die Anlagen, die um den Prozess herum gebaut sind, dienen den Randalierern als Sündenbock für Ihre Verärgerung.

James Marshall deutet das in seinem Buch „Der Teufel im Klassenraum“ folgendermaßen:

Ich kann mir nicht helfen, aber die Fakten sind erdrückend: Die kriminelle Energie lässt bei Jugendlichen nach, nachdem sie die Schule verlassen haben. Das „Vera Institut der Gerechtigkeit“ (Straßburg 1978) fand heraus, dass straffällige Schüler nach ihrem Schulabgang weniger „ Kontakte mit der Polizei“ hatten, als die in der Schule verbleibenden. Nachdem sie die Schule verlassen hatten, nahmen ihre Kontakte mit der Polizei stark ab. Schüler, die weiterhin zur Schule gingen, hatten sogar noch mehr mit der Polizei zu tun.1

Ich kenne ein kleines Mädchen der dritten Klasse, der nicht erlaubt wurde zur Toilette zu gehen, und der deshalb ein Malheur in der Klasse passierte. Ich bin schon lange aus der Grundschule heraus, kann mir aber trotzdem teilweise ihre Verlegenheit vorstellen. Die anderen Kinder sahen zu, als die Mutter von ihrer Arbeit geholt wurde, um dem Mädchen die Kleider zu wechseln. Es dauert eine ganze Weile, um so etwas zu verarbeiten. Die Mutter des Mädchens sprach mit der Lehrerin und bekam die Zusicherung, dass ihre Tochter in Zukunft nach eigenem Ermessen auf Toilette gehen dürfe. Das erscheint jedoch ein schwacher Trost zu sein bei allem, was das Kind durchgemacht hat.

Ein Co-Autor von John Holts Buch „Aufwachsen ohne Schule“ („Growing Without Schooling“) erzählte eine ähnliche Begebenheit:

… er urinierte und/oder kotete in seine Hose. Vielleicht war er krank oder hatte ein psychisches Problem. (Anmerkung des Autors: Vielleicht wurde ihm einfach nicht erlaubt, zur Toilette zu gehen, was in der Schule ziemlich häufig vorkommt.) Er tat das nicht regelmäßig, immerhin war er schon 12 Jahre alt. Natürlich rief das Bestrafung auf den Plan. Er wurde vor jede Klasse der Schule gestellt und der Lehrer erklärte der jeweiligen Klasse sein Verbrechen. Als er in unseren Klassenraum kam, nannte ihn der Rektor den „Schulstinker“ und erzählte uns auch, warum er das tat. Dabei ist mir sein gequältes Grinsen am deutlichsten in Erinnerung geblieben.2

Die offensichtliche Schlussfolgerung all dessen ist einfach: Es gibt freundliche und widerwärtige Erwachsene in der Schule, so wie in jeder gesellschaftlichen Gruppe gute und schlechte Menschen zu finden sind. Ich denke, das gegenwärtige Schulsystem kann aus guten Leuten manchmal solche mit schlechtem Einfluss machen, aber mehr dazu später. Ein wichtiger Punkt, wenn nicht gar der wichtigste, scheint mir, dass, wenn ich meine Kinder zur Schule bringe, weder ich noch meine Kinder viel Einfluss auf die dort unterrichtenden Erwachsenen und ihr Verhalten haben. Indem ich meine Kinder zu Hause unterrichte, kann ich sie vor emotionalem Missbrauch schützen und dafür entschuldige ich mich nicht.

Im ersten Jahr nachdem wir uns entschlossen hatten, unsere Kinder zu Hause zu unterrichten, besuchten wir die kleine Stadt in Massachusetts, wo Marilyn aufgewachsen ist und wir uns kennen lernten, während ich dort bei der Luftwaffe stationiert war. Eines Tages spazierten wir durch die Stadt und trafen einen Mann aus unserer früheren Gemeinde. Wenn er auch eine ganze Generation älter als wir war, so ist er doch immer ein guter Freund von uns gewesen. Es fiel uns damals nichts Besseres ein, als in aller Ruhe über unsere aufregenden Erfahrungen mit „Schule zu Hause“ zu reden. Deshalb erzählten wir unserem Freund von unseren Plänen. Gedankenverloren hob er seine Augenbrauen, als wolle er sagen, dass wir hier einer interessanten Idee nachgehen würden, wenn sie auch ein bisschen merkwürdig wäre. „Hmm“, sagte er. „Ich denke, ihr müsst hier wirklich vorsichtig sein, dass eure Kinder nicht eure Idiosynkratien (Eigentümlichkeiten) übernehmen.“ Leute von Massachusetts gebrauchen tatsächlich solche Wörter.

Als wir uns später trennten sagte ich zu Marilyn: „Wie kommt es nur, dass die Leute immer annehmen, unsere Kinder würden alle unsere Idio-was-auch-immer übernehmen? Und wieso sind unsere Idio-weiß-nicht-was so viel schlechter für unsere Kinder, als die von anderen Leuten?“ Heute wissen wir aufgrund unserer Lebenserfahrung, dass keins unserer zwölf Kinder ein Klon von einem von uns oder voneinander ist. Wenn ich je ein Kind hätte, das exakt so ist wie eins der anderen, würde ich es zum Krankenhaus zurückbringen. Offensichtlich läge hier eine Verwechslung der Babystation vor.

Was ist eigentlich so furchtbar daran, dass ein Kind wie seine Eltern werden könnte? Wenn Gott nicht gewollt hätte, dass ein Kind eine Menge von Eigenschaften mit seinen Eltern und Geschwistern gemein hätte, dann wäre das ganze System der Vererbung ein Riesenfehler. Im Gegenteil – ich denke, es ist gut für ein Kind, viel Zeit beim Arbeiten, Spielen und Lernen mit seinen Eltern zu verbringen. Wahrscheinlich sind Jugendliche manchmal deshalb so wenig gesprächsbereit ihren Eltern gegenüber, weil sie nicht genügend Zeit miteinander verbringen und die Beziehung nicht stark genug ist. Einer der Gründe, warum Jugendliche nicht auf ihre Eltern hören, ist die Tatsache, dass sie implizit gelernt haben, dass ihre Eltern einfach nur ihre Eltern und die Erwachsenen in der Schule die wahren Lehrer sind. Sie haben die professionelle Ausbildung und die Autorität Fragen zu stellen und können die Antworten dafür 30 Stunden die Woche lang einfordern.

Diese intuitiv erfasste Angelegenheit, dass Eltern keine Lehrer sind, wurde mir einst durch eine Unterhaltung mit einer mir persönlich bekannten Lehrerin bewusst. Die Dame hat einen Doktortitel in Pädagogik, viele Jahre Berufserfahrung als Lehrerin und leitet Lehrerseminare. Halb im Scherz fragte ich sie, warum sie nicht versuche, ihre Kinder selbst zu Hause zu unterrichten. Mit einem unsicheren Glucksen antwortete sie: „Oh, meine Kinder würden nicht auf mich hören.“ Offensichtlich erpicht auf die Selbstzerstörung, setzte ich nach und schlug vor, dass sie doch 30 Stunden die Woche ihre eigenen Kinder unterrichten solle, anstatt die von jemand anderem. Dann würden doch ihre Kinder sicherlich auf sie hören. (Hier handelt es sich um eine weitere Lektion über Gesprächsführung, von der ich in jenen frühen Jahren noch nichts wusste.) Es folgte ein weiteres schwaches Glucksen und sie sagte: „Ja, ich denke, dann würden sie auf mich hören.“

Hier liegt uns eine der grundlegenden sozialen Lektionen vor, die uns die Schule über den Einfluss der Erwachsenen aufs Leben eines Kindes lehrt. Lehrer sind Lehrer und Eltern sind und bleiben einfach Eltern. Eltern sind keine Lehrer. Von allem, was ich über Erziehung vor dem 20. Jahrhundert in unserem Land gelesen habe, weiß ich, dass dies früher weniger das Problem war. Als die Kinder nur wenige Monate im Jahr zur Schule gingen und als es noch kein Fernsehen gab, das sich zwischen Eltern und Kinder drängeln konnte, war die Familienkommunikation noch intakt. In den letzten Jahrzehnten ist es offenbar geworden, dass das öffentliche Schulsystem in Amerika nicht nur die Tendenz, sondern die feste Absicht hegt, einen Keil zwischen Kinder und ihre Eltern zu treiben. Das leuchtet aber lediglich denen ein, die sich bewusst sind, dass unser öffentliches Schulsystem eingerichtet wurde, um unsere freie, marktwirtschaftliche Gesellschaft in eine gottlose, sozialistische Welt zu verwandeln. Deshalb musste der Respekt, den Kinder der Weisheit ihrer Eltern gegenüber haben, zerbrochen werden. Die meisten Eltern sind nicht gottlos oder sozialistisch in ihrem Denken. Wenn die Kinder auf ihre Eltern hören würden, dann würden sie die sozialistische Sichtweise nicht übernehmen. Einer meiner Bekannten besuchte einmal die Abendschule auf einem College. In einer Diskussion mit seinem Lehrer nach dem Unterricht wurde ihm der Schulplan zur Beeinflussung der Schüler erklärt: „In den ersten beiden Jahren arbeiten wir lediglich daran, die Loyalität der Kinder gegen ihre Eltern und deren Religion niederzureißen. Die nächsten beiden Jahre lang können wir ihnen dann alles beibringen, was wir wollen.“

Das bringt uns wieder auf den Punkt, dass die Lehrer in der Schule einen schlechten Einfluss ausüben. Wieso wird angenommen, dass es einem Kind schaden wird, wenn es die Eigenarten seiner Eltern annimmt, aber dass keine Gefahr besteht, wenn unerwünschte Wesenszüge vom Schulpersonal übernommen werden? Der Lehrberuf kann keinen guten Charakter garantieren. Heutzutage kann ihr Kind von einem 22-jährigen Lehrer unterrichtet werden, der gerade frisch vom College kommt, noch keinerlei Berufs- und sehr wenig Lebenserfahrung besitzt. Ein Abschlussexamen kann mit einem ziemlich mittelmäßigen Punkteschnitt gemacht werden, solange nur die vorgeschriebenen Methoden, Kurse usw. eingehalten und besucht wurden. Wenn jemand ein Perverser, Unverantwortlicher oder in wilder Ehe Lebender ist, disqualifiziert ihn oder sie das noch nicht, einen Abschluss fürs Lehramt zu machen oder den Beruf des Lehrers zu ergreifen. Wieso sollte das eine bessere Charakter-Voraussetzung sein, als das, was die meisten Eltern mitbringen?

Ein breites Spektrum von Verwicklungen entfaltet sich, weil die Lehrer Rollenvorbilder sind. Eines davon wird bei James Marshall in seinem Buch „The Devil in the Classroom“ erwähnt. Sich auf Lehrerstreiks beziehend sagt Marshall:

… der Streik ist eine Gewalttat, so illegal wie Straßenraub. (Natürlich handelt es sich um eine Beleidigung der Mittelklasse, wenn Lehrer illegal streiken. Das wird von der Öffentlichkeit aber nicht als so ernst angesehen, wie ein von der Unterklasse begangener Straßenraub). Wie kann jemand, der das Gesetz verspottet, indem er von einem Streik in den Klassenraum zurückkehrt, Respekt vor dem Gesetz beibringen oder erwarten, dass seine Autorität im Klassenraum respektiert wird? Bringt man dadurch nicht das Autoritätsempfinden der Schüler durch widersprüchliche Hinweise auf richtiges Verhalten und unklare Werte durcheinander?3

In unserem Land sieht man nicht selten Aufkleber mit der Aufschrift „Es ist mir nicht egal, deshalb unterrichte ich.“ Oft schon hatte ich das abnorme Verlangen, einen Aufkleber drucken zu lassen, auf dem steht: „Es ist ihnen nicht egal, deshalb streiken sie?“ Wenn Schüler diese Widersprüchlichkeit übernehmen sollten, können wir unseren Gesetzen zum Recht auf Arbeit Lebewohl sagen.

Ich wundere mich darüber, aber ich kann dieses Thema nicht verlassen, ohne einen Umweg mit einer kleinen Geschichte aus dem Buch „The Devaluing of America“ (= „Die Abwertung/der Werteverfall in Amerika“) des früheren Kultusministers Bill Bennett zu machen:

Auf die Frage: „Warum sind die Pilger nach Amerika gekommen?“ antwortete mir eine Achtjährige aus New Orleans: „Damit Lehrer sich organisieren und gewerkschaftlich Löhne aushandeln können.“(Ihr Lehrer war schockiert.)4

Nebenbei bemerkt ist Bennetts Buch großartig zu lesen. Bennett war Kultusminister unter Reagans Administration. Er machte es sich zur Gewohnheit, im ganzen Land so viele Klassenräume wie möglich zu besuchen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was in amerikanischen Schulen vorgeht. Beim Lesen seiner Besuchsberichte beeindruckte mich der Unterschied zwischen mittelmäßigen und guten Schulen. Beim Lesen fiel mir auf, dass drei Themen immer wiederkehrten:

  • eine sichere, ordentliche Umgebung,

  • Erwachsene, die Kinder lieben und sie zum Erfolg ermutigen,

  • enthusiastische Unterstützung von Eltern und anderen Erwachsenen der Gemeinschaft.

Während die besseren Schulen einiges davon hatten, konnte keine es mit dem Wirkungsgrad aufnehmen, den diese Dinge zu Hause entfalten.

Wie beeinflusst das Schulepersonal die sozialen Einstellungen der Kinder? In erster Linie wahrscheinlich durch das, was sie den Kindern vorleben. Wenn Erwachsene die Kinder mit Respekt behandeln, werden sie sich respektiert fühlen und andere auch eher mit Respekt behandeln. Wenn Erwachsene Kindern das Gefühl geben wichtig zu sein, so werden diese Selbstvertrauen entwickeln, dass sie es schaffen können, und sich eher an eine Sache herantrauen. Sie werden auch weniger Veranlassung sehen andere zu kritisieren oder sie zu verachten, um ihr eigenes Selbstbewusstsein zu erhöhen.

Wenn Erwachsene andererseits Kinder wie Sklaven und Tagelöhner behandeln, sollten Sie erwarten, dass diese Kinder rebellieren, den Mut verlieren und aufgeben. Wenn sie von Kindern glauben, dass diese keinen Respekt von Erwachsenen erwarten, dann sollten sie nicht auf motivierten Schüler hoffen, die selbstständig lernen, sich begeistert in ein gegebenes Thema einarbeiten und sich noch Material außerhalb der Schule besorgen.

In der Vergangenheit war es üblich, dass ein Vater sein Kind verwarnte, dass es noch größere Probleme zu Hause bekommen würde, falls es in der Schule in Schwierigkeiten geraten sollte. Die darin enthaltene Beleidigung ist offensichtlich. Diese Aussage nimmt an, dass die Schule sich nicht irren kann. Deshalb muss das Kind im Unrecht sein, wenn es mit dem Schulautoritäten nicht übereinstimmen sollte. Das stellt einen Angriff auf den Charakter und die Intelligenz des Kindes dar. Der Elternteil sagt damit: „Ich habe so großes Vertrauen in das Schulpersonal und so geringes in dich, dass ich bei einem Konflikt zwischen euch annehme, dass du falsch liegst und zu deiner Bestrafung noch etwas hinzufügen werde.“ Sehr ermutigend. Ein Verwandter von mir sagte über seinen Vater: „Mein Vater hat mich nur einmal ungerechtfertigt geschlagen. Da hätte er zur Schule gehen und dem Lehrer eine Tracht Prügel geben sollen.“ Es würde mich nicht überraschen, wenn das stimmte. Wenn man die Qualifikation einiger „Professioneller“ in der Schule heute sieht, … nun, lassen wir das.

Während Kinder den Erwachsenen in der Schule ausgeliefert sind und ihnen Rechenschaft geben müssen, ist das dafür notwendige Vertrauen zwischen den Erwachsenen und Kindern praktisch nicht vorhanden. Einer der Gründe dafür ist, dass Kinder die Erwachsenen als Rollenvorbilder sehen, ihre Erwartungen aber nicht erfüllt werden. Ein anderer Grund ist die Unnatürlichkeit und Begrenztheit der Beziehung. Der Erwachsene ist der Lehrer, das Kind hat zu lernen. Außerhalb dieser Umgebung sehen sie sich selten. Darüber hinaus ist in der Klasse selbst weder Zeit noch Gelegenheit für tiefergehende Gespräche zwischen dem Lehrer und den meisten seiner Schüler. Eine Studie zeigte, dass an einem durchschnittlichen Schultag 150 Minuten geredet wird, wobei nur sieben Minuten davon von Schülern bestritten werden.5

Einmal sollte ich auf einem Lehrerseminar über „Schule zu Hause“ sprechen. Einige Tage später kehrte ich in dieselbe Klasse zurück, um mir eine auf Video aufgenommene Klassendiskussion anzuschauen. Während des Disputs zitierte eine Studentin mich falsch, und meinte, ich hätte gesagt, dass es für Kinder meiner Meinung nach nicht wichtig sei, mit vielen verschiedenen Erwachsenen Kontakt zu haben. Diesen Punkt hatte ich offensichtlich nicht genügend beleuchtet. Ich vertrete nicht den „Unterricht zu Hause“, weil das Kinder von allen Erwachsenen außer ihren Eltern fernhält. Ich glaube an „Schule zu Hause“ (jedenfalls zum Teil), weil gerade dieser Kontakt zwischen Kindern und Erwachsenen in der Schule so eingeschränkt ist.

Um Kindern soziale Kontakte mit Erwachsenen zu ermöglichen, muss man sie aus der reglementierten Isolation der Schule herausnehmen und in die reale Welt bringen. In der Schule hat ein Kind in der Regel nur mit einem oder zwei Erwachsenen etwas zu tun. Ein wirkliches Gespräch ist dabei nur selten möglich. Außerhalb der Schule begegnen Kinder ihren Eltern, anderen erwachsenen Verwandten, Nachbarn und Freunden aus der Gemeinde. Zusätzlich gibt es viele Gelegenheiten für Praktika, wo Kinder nicht nur mit Erwachsenen in Kontakt kommen, sondern mit der realen Arbeitswelt und Gemeinschaft, in denen Erwachsene ihren Aufgaben nachgehen. Auf diese Welt sollten wir unsere Kinder vorbereiten.

 

1 Marshall, James: The Devil in the Classroom (= „der Teufel im Klassenraum“). Schocken Bücher. S. 15.

2 Holt, John: Teach Your Own (= „Lehre dich selbst“). Delacorte/Seymour Lawrence Verlag. 1981. S. 47.

3 Marshall, S. 105.

4 Bennett, William J.: The Devaluing of America“ (= “Der Werteverfall in Amerika”). Summit Bücher. 1992. S. 75.

5 Marshall. S. 46.