11. Entstehung und Entwicklung der Gospelmusik

 

Die Gospelmusik macht heute einen großen Teil der religiösen Musik in Amerika aus. Sie hatte ihren Anfang um 1850 während der dritten Großen Erweckung, gehört aber mehr zur Erweckungsbewegung von 1870 an bis heute. Solcherart Musik hat Amerika überschwemmt und sich in der ganzen Welt durch amerikanische und britische Missionare verbreitet, welche das Evangelium mit musikalischer Unterstützung ausbreiteten. Ausdrücke wie „Gospel hymn“ und „Gospel song“ finden sich bereits in den Tagen von Bliss und Sankey. Heute wird jedoch meist Gospelmusik dazu gesagt.

Wenn wir uns der Geschichte der Gospelmusik nähern, so erkennen wir zwei Ströme, die von den ersten Anfängen bis heute reichen und erst in unseren Tagen zusammenfließen. Einer brachte die so genannte „Contemporary Christian Music“ (CCM = „Heutige Christliche Musik“) hervor, während der andere die heutige biblisch fundierte Musik zur Folge hatte. Die letzten Jahrzehnte haben aber gezeigt, dass die beiden Strömungen jetzt zusammenfließen. Es ist unsere Absicht, das in den nächsten beiden Kapiteln aufzuzeigen.

Gospellieder unterscheiden sich heute im Stil und spiegeln viel von der Popmusik Amerikas wider. Genau wie die Rockmusik eine fließende und elastische Struktur hat und existentialistisch aufgebaut ist, so hat auch die Gospelmusik sich in solch ein Lebensgefühl von Integration und Synthese verwandelt.

Auch wenn die Gospelmusik sich gleichzeitig mit der Zelteinsatz-Bewegung (um 1800 herum beginnend) entwickelt hat, so hat sie doch ganz sicher andere Atmosphäre in Lobpreis und Anbetung gebracht, als in den vorhergehenden Jahrzehnten üblich war. Das Liederbuch „The Christian Lyre“ (= „Die christliche Leier“, 1831), von Joshua Leavitt zusammengestellt, enthält Spirituals, traditionelle Hymnen und neue in Musik gesetzte Dichtung aus Europa und Amerika. Es handelt sich um eine Zusammenstellung der fröhlichen Spirituals, die bei Zelteinsätzen gesungen wurden, wie auch den gesetzteren Hymnen von Lowell Mason und Thomas Hastings. Mason scheint einer der ersten gewesen zu sein, der für die Sonntagsschul-Bewegung Lieder sammelte („The Juvenile Psalmist“ = „Der junge Psalmist“, 1829). Dennoch war es sein Schüler William Bradbury, dessen Lieder bekannter wurden. Er schrieb die Musik von „Jesus Loves Me“ (= „Jesus liebt mich“, 1829) und „He Leadeth Me“ (= „Er leitet mich“, 1864). Gospelhymnen waren auch während des amerikanischen Bürgerkriegs sehr populär. Etliche ihrer Melodien stammen von weltlichen Kriegsliedern. George F. Root schrieb eine ganze Anzahl bekannter Bürgerkriegslieder, wie z.B. „Tramp, Tramp, Tramp, The Boys Are Marching“ (= „Schritt auf Schritt marschieren die Jungs voran“), dessen Melodie fürs Lied „Jesus Loves The Little Children“ (= „Jesus liebt die kleinen Kinder“) Verwendung fand. Das Aufkommen der Sänger bei Evangelisationen war auch ein Vorspiel für die Gospelmusik. Wenn wir die Entstehung dieser Musik betrachten, so dürfen wir auch den Einfluss der Sonntagsschul-Ära (1840-1875) nicht vergessen.

Nach dem Bürgerkrieg waren die Gospellieder mit den so genannten „shaped-notes1 Gesangsschulen (= Schulen „der gestalteten Noten“) und ihren Übereinkünften verbunden. Diese wurden aber nicht für die Sonntagsschulen oder Erweckungsversammlungen verwendet. Die Gospelmusik wurde bis in die 1870er Jahre hauptsächlich durchs Schreiben von Musik für die Sonntagsschulen vorangebracht, wobei Bradburys Methode der Zusammenfassung von Hymnen zu einem Motor für die Ausbreitung des Evangeliums zu vielen ungebildeten Kindern wurde. Nach Bradbury standen Robert Lowry (1829-1899) und William Howard Doane (1832-1915) auf. Lowrys Lied „Shall We Gather at the River“ (= „Sollen wir am Flussufer zusammenkommen“, 1865) und andere Kompositionen von ihm formten einen Teil der ursprünglichen Substanz des Gospellieds. Doane, ein Geschäftsmann und Komponist von über 200 Melodien, schloss sich mit Lowry zusammen, um überkonfessionelle Sonntagsschulmusik zu sammeln. Zwei dieser Sammlungen sind „„Pure Gold“ (= „Reines Gold“, 1871) und „Brightest and Best“ („= Das Herrlichste und Beste“, 1875). Selbst einige von den Melodien des Bürgerkriegs, zu denen verschiedene Texte gesungen wurden, fanden sich später in Liedern wie „Jesus Saves“ (= „Jesus rettet“, 1882 von William Kirkpatrick), „Where Is My Wandering Boy Tonight?“ (= „Wo ist mein umherirrender Junge heute Nacht?“, 1877 von Lowry) und „Are You Washed in the Blood of the Lamb?“ (= „Bist du im Blut des Lammes gewaschen?“, 1878 von Elisha Hoffman) wieder. Letzteres Lied wurde eines der Marschlieder für die Heilsarmee. In deutlichem Gegensatz zu den starken Worten, die Wesley in seinen Hymnen benutzte, wurden jetzt allgemein Ausdrücke wie „gentle“ (= „sanft“), „tenderly“ (= „zärtlich“) und „precious“ (= „kostbar“) genommen.

Ira David Sankey schloss sich Moodys Predigtkampagnen erst an, nachdem Philip Phillips und P. P. Bliss das abgelehnt hatten. Durch ihre Versammlungen wurden die Gospelhymne und das Gospellied zum Repertoire der ganzen christlichen Welt. Der Ausdruck „Lied“ nahm in solchen Veröffentlichungen dann den Platz des Begriffs „Hymne“ ein, wie in den „Sacred Songs and Solos“ (= „Heilige Lieder und Solos“, 1873 von Sankey) und D. W. Whittles Zusammenstellung von „Gospel Songs“ (1874) für den Gebrauch in evangelistischen Versammlungen. Interessanterweise kombinierten Sankey und Bliss 1875 ihre Sammlungen im Liederbuch „Gospel Hymns and Sacred Songs“ mit einer zweiten Auflage, die im nächsten Jahr herauskam (was schließlich 1891 in einem sechs Bände umfassenden Liederbuch mit über 730 Liedern endete). Selbst aus diesem kurzen Abriss der Geschichte können wir schon erkennen, dass Sankey mehr als Sammler und „PR“ (= „Herausgeber“ und „Werber“) von Gospelliedern bekannt wurde, denn als Komponist.

Unter anderen Gospellieder-Komponisten, die zu der Zeit aufkamen, befand sich auch Daniel Webster Whittle (1840-1901), ein Evangelist, dessen Gospelhymnen-Texte wie z.B. in „There Shall Be Showers of Blessing“ (= „Ströme des Segens werden fallen“, 1881) und in „I Know Whom I Have Believed“ (= „Ich weiß, wem ich geglaubt habe“, 1883) in den Evangelisationskampagnen vieler Prediger genutzt wurden. Die Musik zu beiden eben genannten Hymnen hatte James MacGranahan (1840-1907) geschrieben, der als erster Chöre in seinen Evangelisationsversammlungen auftreten ließ. Einer von Moodys Musikleitern war George Coles Stebbins (1846-1945). Er stellte etliche Gospelhymnen-Bücher zusammen und komponierte hunderte von Gospelhymnen, einschließlich der Musik für „Jesus Is Tenderly Calling“ (= „Jesus ruft uns zärtlich“, 1883) und „Have Thine Own Way, Lord“ (= „Mach es wie du denkst, Herr“, 1907). David Brink Towner (1850-1919) hatte einen riesigen Einfluss auf den Gospel-Hymnengesang. Er komponierte mehr als 2000 Hymnen, wie z.B. die Musik zu „Trust and Obey“ (= „Vertraue und gehorche“, 1887) und „Grace Greater Than Our Sin“ (= „Gnade, größer als unsere Sünde“, 1910). Sein Einfluss vergrößerte sich noch, als er 1893 Leiter der Musikabteilung des Moody Bibel Instituts wurde.

 

1. Die Ära von Sunday und Rodeheaver

Als Moody 1899 starb, kamen eine Anzahl Männer auf, die Evangelisation ebenfalls als ihre vorrangige Aufgabe (ihre „Last“) ansahen. Unter ihnen waren Samuel Porter Jones, Benjamin Fay Mills, John Wilbur Chapman, Reuben Archer Torrey und William Ashley („Billy“) Sunday. Wie bei Moody, so hatte jeder von ihnen seinen eigenen professionellen Musiker. Zwei von den herausragenden Musikern dieser Zeit waren Charles McCallen Alexander und Homer Alvan Rodeheaver. Mit ihnen brach eine neue Ära der evangelistischen Musik und des Gospelliedes an.

Charles Alexander (1867-1920) unterschied sich von Sankey in seiner Herangehensweise an Musik. Er führte eine neue Art von Ungezwungenheit in die Erweckungsgottesdienste ein, indem er den Gesang mit weit ausholenden Armbewegungen versah, indem er von einem Klavier statt einer Orgel begleitet wurde und indem er die Atmosphäre durch Späßchen und Unterhaltung auflockerte. Dadurch wurde die Versammlung in eine beschwingtere Stimmung versetzt, ganz im Gegensatz zu der Ernsthaftigkeit, die Gottesdienste der vorausgehenden Jahre ausgezeichnet hatte. Er führte auch die Kommerzialisierung für die Hymnenschreiber ein und wurde selbst durch Einkünfte aus seinen bekannten (und strikt rechtlich geschützten) Sammlungen wohlhabend. Drei seiner Lieder waren „His Eye Is on the Sparrow“ (= „Er achtet auf jeden Spatz“, 1905), „One Day“ (= „Eines Tages“, 1910) und „Ivory Palaces“ (= „Elfenbeinpaläste“, 1915).

Homer Rodeheaver (1880-1955), der ungefähr zwanzig Jahre lang mit Billy Sunday zusammenarbeitete, begann seine Musik-Evangelisationen 1904. Auch Rodeheaver ging ähnlich wie Alexander an Musik heran. Er wollte den musikalisch umrahmten Gottesdienst informeller, angenehmer und unterhaltsamer fürs Publikum gestalten. Die Begleitung der Lieder wurde durch Stimmen und Trommel-Solos aufgepeppt. Auch wenn Rodeheaver viele der Gospellieder aus Sankeys Zeit benutzte, so tendierte er doch eher zum Singen der leichteren, optimistischeren Lieder. Der Song „Brighten the Corner Where You Are“ (= „Erhelle deine nähere Umgebung“) war eins seiner Lieblingslieder. Zeitweise neigte dies Lied durch Bass-Arpeggien2 schon etwas zum Ragtime. Wenn er kritisiert wurde, weil er dieses Lied wieder einmal ausgewählt hatte, antwortete er gewöhnlich:

„Ich weiß, das Lied war nie für einen Sonntagmorgen-Gottesdienst oder eine Andachtsversammlung gedacht. Es wurde geschrieben, um die Lücke zwischen den populären Songs unserer Tage und den großartigen Hymnen und Gospelliedern zu überbrücken. Außerdem soll es den Menschen eine einfache, trällernde Melodie eingeben, die sie schon nach einmaligem Hören lernen können und welche sie an allen Orten pfeifen und singen können.“

Rodeheaver fing 1910 an, Gospellieder-Sammlungen herauszugeben und gründete einen der größten, Gospellieder herausgebenden Verlage seiner Zeit. Er brachte auch sein eigenes Aufnahme-Markenzeichen heraus, nämlich Rainbow Records. Die wahrscheinlich berühmteste, rechtlich geschützte Hymne von Rodeheavers Verlag war George Bernards Lied „The Old Rugged Cross“ (= „Das alte, schroffe Kreuz“, 1913). Obwohl er einige Lieder selbst komponierte, profitierte er doch weitgehend vom Talent anderer, wie z.B. Charles Hutchinson Gabriel, Bentley DeForest Ackley und Alfred H. Ackley.

 

2. Frühe Kommerzialisierung der Gospelmusik

Wir hatten vorhin gesagt, dass es zwei Ströme in der Geschichte gegeben hat, die von der Gospelhymne und vom Gospellied bis in die Gegenwart geflossen sind. Einen könnte man aus Sicht der Pfingstbewegung und den anderen aus einer fundamentalistischen oder mehr konservativen Sichtweise sehen. Charles Alexander und Homer Rodeheaver hatten auf beide Richtungen einen Einfluss, jedoch hauptsächlich auf den Strom des Fundamentalismus. Wir werden diesen speziellen Teil der Geschichte im nächsten Kapitel präsentieren. Unser jetziges Anliegen betrifft mehr das, was der CCM („Contemporary Christian Music“ = „Heutige Christliche Musik“) Geburtshilfe geleistet hat.

Populäre Gospelmusik wurde ursprünglich (und wird immer noch) aus kommerziellen Gründen geschrieben. Daher muss sie so dargeboten werden, dass sie den Fähigkeiten der Käufergruppe dieser Musik entgegenkommt. „Shaped-note“ Musik war das Mittel der Wahl. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die Hymnedichtung mit „geformten Noten“ Mitte des 19. Jahrhunderts im ländlichen Süden Amerikas sehr verbreitet war. Anfang des 20. Jahrhunderts erreichte diese Technik schließlich die Städte. Der Ruebush-Kieffer Verlag in Virginia nutzte die Musik von A. J. Showalter, um Gospellieder in der „shaped-note“ Technik in Georgia und Tennesse herauszugeben. Wir müssen dabei beachten, dass diese Entwicklung mit der Geburt der Pfingstbewegung und ihrer verschiedenen Abspaltungen zusammenfällt. Ihre Anhänger akzeptierten diese Technik bereitwillig.

1890 fing James D. Vaughan (ein Mitglied der jetzt wieder neu aufgebauten Nazarenerkirche) in Tennessee an, Liederbücher in einer Notation mit sieben Notenformen („shapes“) herauszugeben. Er brachte Männerquartetten damit Gospellieder bei, die sie dann in Konzerthallen und Schulen vorsangen. Indem er seine Quartette (als Grundlage für Akkorde aus vier Tönen) diese Lieder singen ließ, brachte er sie auch den Zuhörern bei, die dann im Gegenzug seine Liederbücher kauften. 1928 nahm Vaughan seinen ersten Radiosender in Tennesse in Betrieb, der ausschließlich seine Gospelmusik spielte.

Auf den Spuren von Vaughans Stil kontrollierte die Firma von Stamps-Baxter in Dallas bald die Herausgabe von Gospels im gesamten Süden der Vereinigten Staaten. Sie eröffneten eine Gesangsschule, sponserten herumreisende Quartette und sendeten ihre Musik im Radio (wobei sie den Zuhörern erlaubten, die Liederbücher der vorgespielten Stücke zu bestellen, was noch heute in Teilen von Tennesse und Alabama so gehandhabt wird). Die Quartette von Stamps waren die größte Attraktion auf dem Volksfest von Texas 1936. (Heute ist die Gruppe unter dem Namen „J. D. Sumner and the Stamps Quartet“ bekannt. Sie waren eines der letzten Quartette, die als Background-Sänger für Elvis Presley auftraten.) Mit ihrer Erkennungsmelodie während dieser frühen Jahre, nämlich „Give the World a Smile Each Day“ (= „Schenke der Welt jeden Tag ein Lächeln“), führten sie einen neuen „Southern Gospel“ Stil ein. Darin kamen ständig wiederkehrende Phrasen in der Begleitung, chromatische Umspielungen und Durchgangsdissonanzen und eine stampfende, von etlichen Einwürfen unterbrochene Basslinie im Refrain vor. Die Begleitharmonik war simpel, sehr rhythmisch geprägt und der Text war von typischer Stamps-Baxter Schlichtheit. Das war die Geburtsstunde der Southern Gospelmusik, die im ländlichen Süden bereitwillig als populäre Form von Musik akzeptiert wurde. Später wurde die Klavierbegleitung noch mit einer Ragtime-Begleitung versehen (allgemein als „stomp beat“ [= „stampfender Rhythmus“] bezeichnet), welche den Unterschied zwischen dem zur Kirche/Gemeinde und zur Welt Gehörenden verwischte.

Die Beliebtheit und weite Verbreitung der Gospelmusik wurde durch Gesangstreffen und kommerziell arbeitende Verlage aufrechterhalten. Die „Fifth Sunday Sings“ (= „Gesangstref­fen am fünften Sonntag“, und zwar in den Monaten, die fünf Sonntage aufwiesen) waren in den kleineren Städten des Südens allgemein verbreitet und revolutionierten die Quartett-Industrie. Diese Gesangsquartette waren von da ab nicht mehr mit organisierten Erweckungsversammlungen verbunden, sondern wurden unabhängige Herausgeber, Künstler und Veranstalter. Deshalb begannen andere Gospelsong-Formen zu entstehen, die z.B. mit „Pop Gospel“, „Bluegrass Gospel“ oder „Hillbilly Gospel“ bezeichnet wurden.

Die Gospelmusik wurde vorher nur im Zusammenhang mit Erweckungen und geistlichen Aufbrüchen geschrieben und gesungen. Dann entwickelte sie sich zu einem kommerziellen Produkt, das von ernsthafter Anbetung getrennt war. Unter den Herausgebern, wie z.B. Harper & Cie., nahm langsam eine Neubestimmung des Zwecks der Gospelmusik Formen an. Sie definierten die Gospelmusik des Südens („Southern Gospel Music“) als „Familienunterhaltung mit einer Botschaft, … einfache Harmonien, die jeder Sänger eines Kirchenchors leicht lernen und singen kann, … Unterhaltung, die jeder eingetragene Verein oder jede städtische Vereinigung unterstützen kann, wobei sie sich nicht zu verkirchlicht vorkommen, aber trotzdem die Kirchen in ihrer Gemeinde zufrieden stellen werden, … eine Musik, die selbst Country-Musik spielende Radiosender spielen können, weil es dieser Musikrichtung sehr ähnlich ist.“ Southern Gospel wurde genau so vollkommen akzeptiert, wie fast alles, was den Country-Touch hatte und das jeder hören wollte.

 

3. Southern Gospel Music (Gospelmusik des Südens)

Genau wie andere Gospelsong-Formen hat die Southern Gospelmusik keinen Geburtstag. In Abgrenzung zum Blues, Rock’n’roll oder Country-Western-Stil hat der Southern Gospel keine Zeit, die er für sich selbst beansprucht hätte. Selbst bis heute erscheint er irgendwie noch dialektisch zu sein. Dennoch gehört er zu den ganz Großen aller heutigen Musikformen. Trotzdem wird er immer mit den Gesangsgruppen der Jahrhundertwende verbunden bleiben, mit Vaughn, Stamps (von Texas) und anderen. Als Quartette ungewöhnliche Harmonien im Radio, in Kirchen/Gemeinden und Freikirchen salonfähig machten, wurden viele Gruppen zu einem Begriff, so z.B. „The Blackwood Brothers“, „The Dixie Harmoneers“, „The LeFevres“, „The Speer Family“ und die „Chuck Wagon Gang“. Stamps, Wally Fowler und J. G. Whitefield werden mit den „all-night singings“ („Gesangstreffen die ganze Nacht hindurch“) in Verbindung gebracht, die eigentlich nur eine Nachahmung der „Grand Ole Opry3 waren. Um 1950 herum erschienen andere Gruppen auf der Bühne, nämlich „The Statesmen“, „The Rangers”, „Sewanee River Boys”, „Harveters”, „Florida Boys”, „Dixie Echoes”, die „Imperials” (von Jake Hess ins Leben gerufen) und „The Oak Ridge Boys” (die von Anfang an weltlich ausgerichtet waren). Amerikaner sahen sich dann im Fernsehen „The Gospel Singing Jubilee“, „Jake Hess and the Imperials“, „Singing Time in Dixie“ (mit den „Blackwood Brothers“ und „Statesmen“) und viele andere lokale Gruppen an.

Die 1960er Jahre waren ziemlich turbulente Jahre Amerikas. Dennoch brachte die Gospelmusik-Industrie auch weiterhin eine Reihe von Neuheiten heraus. So probierten z.B. die „Imperials“ und die „Oak Ridge Boys“ die Wirkung von neuen Kleidungsstilen, stärker besetzten Instrumentengruppen, Rockrhythmen und längeren Haare aus. Es gab heftige Reaktionen, insbesondere aus einigen Bereichen des Evangelikalen Spektrums in Amerika. Einige waren nicht willens, Trends so einfach zu akzeptieren, die man als „weltlich“ bezeichnen musste. Sie waren zufrieden mit den bisherigen Anzügen und wollten wenig Veränderung. Die 1960er Jahre sahen auch die Einführung des „Dove Awards“ (= „Tauben-Auszeichnung“), des höchsten Statussymbols der Gospelmusik.

Die 1970er Jahre sind als Ära der Gaithers in Erinnerung geblieben. Auch wenn das Lied „He Touched Me“ für viele Jahre den Standard gesetzt hatte, so kam erst „neuer Schwung“ in die Southern Gospelmusik, nachdem Henry Slaughter mit seiner Frau und dem bekehrten Trinker Doug Oldham zusammen auftraten. Die Gesangsversammlungen wurden längst nicht mehr so gut besucht. Das Gefolge von Gaither aber fing (mit 30 oder 40 Leuten pro Gruppe) an, mit Stehplatz-Konzerten zu experimentieren. Diese neuen Gesichter teilten „heimelige Momente“ mit ihrer Zuhörerschaft und die Southern Gospel Bewegung hatte eine neue Bewegung. Diese neue Welle und eine weiter reichende Akzeptanz von Instrumentation, Orchestrierung und Veränderungen im Stil spaltete die neuen Trends. Dennoch brachte es auch eine alljährlich hervortretende, vorher nicht da gewesene Einheit unter den Gruppen hervor. Als diese neuen Gruppen aufkamen, mussten die alten Gruppen sich anpassen, um ihre schwindende Popularität auszugleichen.

In der Southern Gospelmusik kamen neue Komponisten auf, wie z.B. LaVerne Trip, Gary Paxton, Marijohn Wilkin, Lanny Wolfe (der zur „Jesus Only“ Bewegung gehört, was beweist, dass auch solche in der Evangelikalen Welt akzeptiert werden, die gar nicht an die Dreieinigkeit Gottes glauben), John Stallings und Gordon Jensen. Ältere Gruppen lösten sich auf oder zogen sich zurück, während neue ihren Platz einnahmen. In den letzten Jahren ist es beinahe unmöglich geworden, mit all den neu aufgekommenen Gospel Gruppen Schritt zu halten. Einer der Gründe dafür, dass diese Gruppen wie Pilze aus dem Boden schießen, ist die Popularitätswelle der Sänger, die nicht nur im Süden, sondern auch im mittleren Westen und im westlichen Teil Amerikas auftreten.

 

4. In der Gospelmusik kommt ein eklektisches Spektrum auf

Ende 1977 stiegen die Einnahmen durch Gospelaufzeichnungen und Schallplatten auf mehr als 80 Millionen US-$ an. Selbst die Einnahmen der christlichen Bücherstuben stiegen dadurch um 300 bis 500 Prozent. Der Umsatz geht inzwischen über eine Milliarde US-$ hinaus (wenn man alle Utensilien, Konzerte, CDs usw. dazurechnet). Woher kommt dieser steile Anstieg?

Im Kapitel über Rockmusik hatten wir erwähnt, dass die frühen siebziger Jahre eine „religiöse“ Erweckung in Amerika sahen. Aus Sicht der Bibel war das ein Abfall von Gott, aber die Amerikaner behaupteten „religiöse Erfahrungen“ zu machen. Selbst Jimmy Carter eroberte das Weiße Haus am Ende des Jahrzehnts mit Hilfe der „Wiedergeburtserfahrung“ (nach Meinungsforscher George Gallop behaupteten 1969 etwa 30 Millionen Amerikaner wiedergeboren zu sein). „Jesus Christ Superstar“ feierte seinen Einstand mit beginnender Akzeptanz. Das musste ja die Popularität der christlichen Musik erhöhen (zumindest wenn man das aus heutiger Sicht sieht). Während viele Jugendliche sich in den 1970er Jahren dem Satanismus zuwandten, wurden andere für Jesus „eingeschaltet“. Daraus entstand eine Art Schneeballeffekt für die lukrative Position der CCM („Contemporary Christian Musik“ = „Heutige Christliche Musik“). Der Ausdruck Gospelmusik umfasste zu dieser Zeit das komplette Spektrum der musikalischen Stilarten. Die Aprilausgabe einer landesweit herausgegebenen weltlichen Zeitschrift schrieb 1978:

„In diesen Tagen erklingt eine spezielle Art von Musik in den Häusern, Konzerthallen, aus Autostereoanlagen und selbst in Kirchen/Gemeinden – es handelt sich um Heutige Christliche Musik. Wenn sie nicht ganz genau auf die Texte achten, dann ist die Chance hoch, dass sie nicht einmal erkennen, was es eigentlich ist. Christliche Musiker haben den Gospel „auf die Straßen“ gebracht und seine Botschaft in allseits anerkannte Pakete von Rockmusik, Country-Musik, „easy listening“ (= „leicht verdauliche Musik“), ja selbst Orchester- und Chormusik verpackt. Die Zeiten, in denen man alle christliche Musik in eine Kategorie einordnen konnte, sind vorbei.“

Um mit der wachsenden Anzahl christlicher Künstler Schritt halten zu können, mussten Schallplattenfirmen die Anzahl ihrer produzierten Markenzeichen erhöhen. Word Inc., J. T. Benson, Sparrow Records und Tempo Records waren einige der größeren Gesellschaften, die zusammen mit einigen kleineren gebildet wurden, wie zum Beispiel House Top Records, New Life, Creative Sound, Light/Lexicon (Ralph Carmichael), Skylight, Maranatha Music, Trine Music usw. Selbst die katholische Kirche profitierte durch die neu entstandene charismatische Bewegung und schwamm auf ihrer „neuen pfingstlichen Welle“. Servant Publications startete die Herstellung von Musik für die „Word of God Catholic Community“ (= „Katholische Gemeinschaft des Wortes Gottes“) in Ann Arbor, in Michigan (USA). Die Gesellschaft „North American Liturgy Resources“ verkaufte solche Musik gleichzeitig mit der wachsenden liturgischen Musik von Vater Carey Landry und Liedersammlungen für Kinder.

An dieser Stelle ist es interessant zu erwähnen, dass die Charismatiker sich während der 1970er Jahre sowohl zur jüdischen Musik, als auch zur Teilnahme an jüdischen Festen hingezogen fühlten. Diese Bewegung brachte drei „Labels“ (= Markenzeichen) dazu, sich auf messianisch-jüdische Musik zu spezialisieren, nämlich Messianic Records, Jews for Jesus und selbst Lillenas Publishing. Die bekanntesten Künstler dieser Form der Gospelmusik waren das singende Duo von Lamb, Sandra Sheskin und die „Liberated Wailing Wall“ (= „Befreite Klagemauer“).

1971 spielten etwa 100 Radiostationen Moderne Christliche Musik. Bis 1977 wuchs ihre Zahl bereits auf über 1000 und die meisten Stationen räumen der CCM heute Sendezeit ein. Amerika wurde mit dieser neuen Art von Christentum, die durch ihre eingängige Musik kommerziell vertrieben wurde, regelrecht bombardiert.

In dieser marktgängigen Musik wurde die Weltlichkeit zu einer immer mehr Raum einnehmenden Eigenschaft. Thurlow Spurr, ein weiterer großer Erfinder von christlicher Musik während der 1970er Jahre, dirigierte diese Musik zur besten Sendezeit der Oral Roberts Fernsehshows (zusammen mit Ralph Carmichael). Gleichzeitig leitete er fünf Vollzeitmusikgruppen (eine wurde Spurrlows genannt) und stieg zum Musikdirektor von PTL Network auf. In den 1960er Jahren schmissen die christlichen Radiostationen viele seiner Stücke raus, aber in den 1970er Jahren war er wieder „in“ (genau wie die Kirche/Gemeinde auch Lloyd Webbers „Jesus Christ Superstar“ um 1970 herum akzeptierte). Seine eigene Bemerkung zu seinem Come-back war: „Nun, Gott sei Dank haben sich die Dinge geändert! Die meisten Leute haben begriffen, dass Musik (d. h. musikalische Noten und Rhythmen) nur das Vehikel sind, um eine Botschaft überbringen. Das Mittel zum Überbringen kann sich ändern ... und Gott möge uns helfen, wenn es sich nicht ändert.“ Bill Gaither konfrontierte seine Kritiker nun mit der Bemerkung: „Die Botschaft mag dieselbe sein, aber die Verpackung nicht.“ Paul Johnson, einer der großen unter den modernen Komponisten von 1970, sagte:

„Heute steht die Kirche/Gemeinde einer Welt gegenüber, die nicht im Mindesten daran interessiert ist, uns bei der Verteidigung unserer heiligen Kühe zuzuhören. Stattdessen will sie eine Lösung für die Krisen hören, denen sie im Bereich der persönlichen Identität, der Wirtschaft, der Ökologie, der Ethik, der Schuld, der Hoffnung auf die Zukunft der Welt usw. gegenübersteht. Für all das gibt es fundierte Lösungen in der Person von Jesus Christus.“

Ralph Carmichael war der Mann, der die Evangelikale Welt durch die Einführung der Rockmusik im nationalen Maßstab in den Filmen von Billy Graham revolutionierte (beginnend 1967). Er erzählte seinen Kritikern, dass selbst philosophisch „amoralische“ Musik nicht an den Maßstäben von gut und böse zu messen sei. Nur die Art, wie die jeweilige musikalische Form vom Musiker gespielt wird, solle beurteilt werden. Weiter sagte er: „Ich fühle, dass ich in allen Ausdrucksformen schreiben muss, die für Jesus am effektivsten sind. Unsere Botschaft bleibt dieselbe, auch wenn die landessprachlichen Kommunikationsmittel sich ändern müssen, um aussagekräftig zu bleiben.“ In der Tat, die schlimmsten Angriffe auf CCM müssen von den Erfindern selbst gefahren werden. Mit der Zeit werden die Kritiker geschwächt und die volle Akzeptanz des modernen Sounds kommt wie von selbst.

 

5. Die Gospelmusik der Schwarzen („Black Gospel“)

Die Musik der Schwarzen hat schon immer einen großen Einfluss auf die der weißen gehabt. Die „Spirituals“ (= „Geistliche Lieder“) der Schwarzen („Negro Spirituals“) sind für Jahrzehnte ein wichtiger Teil der Kirchen-/Gemeindemusik überhaupt gewesen. Buchstäblich jede Form der modernen Musik, vom Jazz bis Rhythm and Blues, vom Rock zum Folk hat sich Bestandteile von Black Gospel und Soul Musik ausgeliehen. Künstler wie Elvis Presley eigneten sich viel vom Sound der Schwarzen an und stellten oftmals Schwarze Musiker als Hintergrundsänger ein. In den meisten Fällen wurde der Einfluss der schwarzen Musik aber gehört und nicht gesehen.

Schwarze Künstler in den 1940er Jahren produzierten ihre eigenen Gospel-Aufnahmen und erfreuten sich durchaus auch eines gewissen Erfolges unter schwarzen Christen. Ja, mit Leuten wie Clara Ward veranstalteten sie auch ihre Konzerte und Gospelfestivals, die bis hin zum Kreml aufgeführt wurden, wohin weiße Gospel-Sänger nie hatten vordringen können. 1946 wurde Savoy Records Inc. gegründet. Diese Plattenfirma hatte einige der angesehendsten Namen in schwarzer Gospelmusik unter Vertrag, einschließlich der „Ward Singers“, den „Original Kings of Harmony“, den „Warwick Sisters“ (mit denen Dionne Warwick ihren Einstand feierte. Heute sind sie zur PR für das „Psychic Network“ geworden), den „Patterson Sisters“ und anderen. Savoy Records breitete sich mittels einem begonnenen Musikverlag aus, der auch Komponisten wie Clara Ward, Dorothy Love Coates und James Cleveland anzog, deren Alben zeitweilig für Grammy-Auszeichnungen nominiert wurden. Die frühen Aufnahmen wurden hauptsächlich mit Gospel-Quartetts oder Kirchenchören gemacht, die mit sehr einfachen Begleitungen und Arrangements arbeiteten.

Thomas Dorsay war einer der ersten Leiter in der schwarzen Gospelmusik. Er war ein „bekehrter Bluesmusiker“ und Gründer der „National Convention of Choruses“. Mit Liedern wie „Peace in the Valley“ (= “Frieden im Tal”), „Take My Hand, Precious Lord“ (= „Nimm meine Hand, kostbarer Herr“) und „Highway to Heaven“ (= „Schnellstraße zum Himmel“) wurde er landesweit bekannt. Zu der Zeit stand er noch mehr für den konservativen, traditionellen schwarzen Gospelsound. Viele Musikforscher nennen ihn aber den Vater der Gospelmusik und schreiben ihm den Gebrauch des Ausdrucks „Gospelsongs“ in seinem volkstümlichen Sinne zu. Sein Lied „Peace in the Valley“ wurde von Elvis Presley bereits in den 1950er Jahren aufgenommen. Es war eines der ersten religiösen Lieder, das seinen Weg in die weltlichen Hitparaden nahm.

1960 erschien Pastor James Cleveland das erste Mal in der nationalen Aufnahmeszene. Sein Album „Peace Be Still“ (= „Friede bleibe hier“) war das erste von buchstäblich Dutzenden von Alben, von denen viele zu Gold oder Platin wurden. Seine Musik (die in den letzten Jahren von der Charismatischen Bewegung wiederentdeckt wurde) war sehr irdisch, emotional und – wie er es nannte – „gefühlvoll“. Er sang mit solcher Intensität, dass er das Etikett „The King of Black Gospel Music“ (= „Der König der schwarzen Gospelmusik“) bekam. Seine unwiderstehliche, charismatische Persönlichkeit allein verkaufte ohne Zweifel bereits viele Aufnahmen.

Mit Nachdruck muss erwähnt werden, dass die meisten der modernen schwarzen Künstler aus der „Church of God in Christ“ kamen, der größten und ältesten schwarzen Pfingstlichen Denomination (von 1895). Unter der Leitung von Manny Moss Clark hielt diese Kirche/Gemeinde jedes Jahr Jugendkongresse ab, wo attraktive junge schwarze Künstler ihre Talente vorstellen konnten. Aus diesem frühen musikalischen Forum kamen viele Künstler hervor, wie z.B. Andrae Crouch, Jessy Dixon, Billy Preston und Edwin Hawkins, um nur einige zu nennen.

1970 schlugen zwei schwarze Gospelsongs nicht nur in den religiösen, sondern auch in den weltlichen Hitparaden ein. Sie stellten einige der frühesten Übergänge der Gospelmusik dar. Einer dieser innovativen Lieder hatte den Titel „Oh Happy Day“ (er wurde erst 1969 für den landesweiten Verkauf aufgenommen). Geschrieben wurde er bereits im 18. Jahrhundert von Philip Doddridge. Edwin Hawkins verjazzte diese Hymne und nahm sie mit dem „Northern California State Choir“ (= „Landeschor von Nord-Kalifornien“) auf. In nicht einmal zwei Jahren wurden über 12 Millionen Aufnahmen und Liedblätter verkauft. Der andere Song, der die Welt überraschte, wurde von Lawrence Reynolds geschrieben und hatte den Titel „Jesus Is the Soul Man“. Der Ausdruck „Soul Man“ wurde zu der Zeit gebraucht, um einen Casanova zu beschreiben. Später wurde der Ausdruck in der weltlichen Rockszene zur Titelmelodie des Fernsehhits „Soul Train“. Ja, 1970 war ein entscheidendes Jahr für die breite musikalische Fächerung in der amerikanischen Musik. Es war ein Wendepunkt, der die Veränderungen akzeptabler machte.

Gruppen wie die „Supremes“ mit ihrem „Motown Sound“, die „Spinners“, die „Fifth Dimension“, „Sly and the Family Stone“ und Dutzende von anderen brachen die Barriere zwischen den Schwarzen und Weißen zuerst. Junge Leute, die in den 1960er Jahren aufgewachsen waren (und an Rassenunruhen und Verstandesmanipulation durch Rockmusik gewöhnt waren) beachteten die Farbe eines Künstlers nicht weiter und kauften Millionen ihrer Aufnahmen. Als tausende dieser jungen Leute von der Jesusbewegung ergriffen wurden, hatten sie wenig Bedenken, schwarze Gospelmusik zu akzeptieren.

Als die großen christlichen Plattenfirmen die Popularität des schwarzen Sounds bemerkten, fügten sie ihren Markenzeichen schwarze Künstler hinzu, wobei sie sie normalerweise unter die Künstler ihrer Jesusmusik einordneten. Unterstützt von Werbekampagnen und großem Kapital im Hintergrund profitierten Firmen wie Word Inc., die Andrae Crouch, Jessy Dixon und Walter Hawkins unter Vertrag hatten (Ralph Carmichael war Präsident der Plattenfirma), und selbst die Benson Gesellschaft von dem lukrativen Zug des „Soul“. Es war der schwarze Sound in der Gospelmusik, der die Tür für die Akzeptanz der Welt zur so genannten Christlichen Musik öffnete. Während er immer populärer wurde, änderte sich der harte Gospel- zu einem mehr weichen Sound, der professionelle Arrangements und mehr Instrumente aufwies. Große Teile der Musik wurden angeglichen, um dem Markt der weißen Käufer entgegenzukommen, obwohl einige Schwarze damit nicht einverstanden waren. Henry Porter, ein sehr bekannter schwarzer Evangelist und Chorleiter in den 1970er und -80er Jahren sagte dazu: „Gott bringt verschiedene Leute zusammen und zeigt ihnen, dass Jesus sich auf allen Ebenen bewegt, unabhängig von Rasse oder Denomination. Er verkündet damit die Botschaft, dass Jesus der Herr ist, und das vollbringt er durch die Sprache der Musik.“

Insbesondere in Amerika ist der Einfluss der schwarzen Gospelmusik auf die Geburt der Rockmusik noch nicht genügend ins öffentliche Bewusstsein getreten. Ohne den musikalischen Beitrag der schwarzen Kirchen/Gemeinden Amerikas wäre Rock’n’roll heute eine viel schwächere Form von Musik. Selbst Elvis Presley besuchte in seinen jüngeren Jahren die schwarze Baptistengemeinde East Trigg in Memphis (Tennessee, USA). Er wurde dort in den gospelartigen Stil des Gesangs regelrecht hineingetaucht. Bevor er schließlich zum Rock’n’roll-Sänger wurde, ging er sogar beim „Blackwood Gospel Quartet“ probesingen, um dort Mitglied zu werden, jedoch ohne Erfolg. Man sagt, dass er ständig hunderte von LPs (= Langspielplatten) dabei hatte, wovon die meisten Gospels enthielten. Er selbst glaubte, dass Mahalia Jackson die größte Sängerin aller Zeiten sei. Rock’n’roll wurde geboren, als Elvis als weißer Junge vom Lande Rhythm und Blues Songs mit der Stimmlage eines schwarzen Gospelsängers aufnahm.

Wenn jemand die Charakteristika aufschreiben würde, die oftmals einen Rocksänger ausmachen, dann würde er zu dem Schluss kommen, dass die schwarze Gospelmusik einen Einfluss darauf gehabt hat – ein unverwechselbarer emotionaler Gesangsstil, ekstatisches Heulen, Schreie und Falsett von Leadsängern werden dem Frage-und-Antwort-Schema einer schwarzen Gemeinde, einem Chor oder einer Backgroundgruppe gegenübergestellt. Die Schwarzen haben dem Rock den Gesang gezeigt. Sie haben die Rockmusik als Trainingsfeld zum Übertritt von der Gospelmusik in die Welt des Showgeschäfts genutzt. Die Liste ist vielsagend, sie enthält Namen wie die Drifters, Aretha Franklin, Marvin Gaye, Mahalia Jackson, Al Green, Doris Troy, Otis Redding, Billy Preston, Johnnie Taylor, Diana Ross usw. Auch Ray Charles sang tatsächlich Gospelsongs, veränderte aber die Texte. „This little Light of Mine“ (= „Mein kleines Licht“) wurde zu „This Little Girl of Mine“ (= „Mein kleines Mädchen“), „Talking about Jesus“ (= „Reden wir über Jesus“) wurde zu „Talking about You“ (= „Reden wir über dich“). Er benutzte die Akkordfolge der Gospels und das Frage-Antwort-Schema, um Spannung und Begeisterung dieser umbenannten Soulmusik zu erzeugen. Otis Redding ersetzte in seinen Soul-Aufnahmen die Antwort des Chors oder des Harmonien singenden Backgroundchors durch einen Blechbläsereinsatz. Dadurch erzeugte er in seinen Bühnenshows die Intensität eines Gottesdienstes von Schwarzen. Isaac Hayes und später auch Barry White kopierten die gesprochene Einleitung des schwarzen Predigers einfach über die ersten Takte ihrer Lieder. In einer Freikirche steigerte sich der schwarze Prediger bei der Lesung eines Bibeltextes oftmals in eine Begeisterung hinein, die in einen Chorus oder einen Gospel-Anbetungssong der Gemeinde mündete. Soulsänger sprechen auch zunächst einige sehr emotionale Zeilen, bevor ihr Lied aus ihnen regelrecht herausbricht (eine Praxis, die durchaus auch Parallelen zu einem Rap aus der Funk-Disko-Szene hat).

The Book Of Rock Lists“ von David Marsh und Kevin Stein zitiert ein Beispiel dieses Umwandlungsprozesses von der Gospel- zur Popmusik. Als die „Womack Brothers“ zur Soulmusik wechselten, wurde der Gospelsong „Couldn’t Hear Nobody Pray“ (= „Ich habe niemanden beten hören“), wie er ursprünglich von ihnen aufgenommen wurde, zum Lied „Looking for a Love“ (= „Auf der Suche nach einer Geliebten“), den sie unter ihrem neuen Namen „The Valentinos“ sangen. Dieser Song wurde später von „Ry Cooder and the J. Geils Band“ kopiert. Diese musikalischen Ereignisse beweisen, dass die Gospelmusik via Soul zur Rockmusik wurde.

In mancherlei Hinsicht ist die Karriere des berühmten schwarzen Billy Preston ein lebendes Beispiel eines schwarzen Gospelmusikers, der weiße Künstler beeinflusst hat. Er begann seine musikalische Laufbahn, indem er für Mahalia Jackson die Orgel spielte. Danach tourte er mit Sam Cooke und Little Richard herum, spielte für Ray Charles, tauchte später bei den Beatles und den Rolling Stones auf und machte Aufnahmen mit Sly Stone und Aretha Franklin. Die Rechte an einer ganzen Anzahl von Hits gehören ihm. Als Gospelmusiker half er Sam Cooke mit seiner Soulmusik, welche den Rock’n’roll beeinflusst hat. Indem er mit Ray Charles zusammenarbeitete, half er beim Übergang von der Gospel- zur weltlichen Musik, später auch bei den Beatles (und viele ihrer frühen Harmonien) und den Rolling Stones.

 

6. Die Jesusbewegung und ihre Musik

Wie wahr es doch zu sein scheint: Wenn die Welt ihren gerade kursierenden musikalischen Spleen fallen lässt und zum nächsten übergeht, dann nimmt die Gemeinde Jesu das Fallengelassene auf und sagt: „Jetzt können wir es benutzen.“ Was in der Vergangenheit Sünde gewesen ist, scheint jetzt mit einem Mal geheiligt zu sein. Auf dieselbe Art kam 1970 eine andere Art von Musik auf.

1967 fügte Ralph Carmichael einen Background-Beat in die Musik zu Billy Grahams Film „The Restless Ones“ (= „Die Rastlosen“) und kam mit dem Song „He’s Everything to Me“ (= „Er bedeutet mir alles“) heraus. Das brachte einen neuen Sound in die Kirchenchöre, die bereit waren, den Sturm der Entrüstung dagegen zu glätten, ihre Türen für fremde Musiker zu öffnen, um mit ihnen neue Bereiche zu erobern. Scheinbar gab es auch eine ganze Anzahl von „christlichen“ Musikern, die mit ihrer musikalischen Darbietung nicht zufrieden waren. Alles, was ihnen noch fehlte, war ein wenig Ermutigung vom lax werdenden amerikanischen Kirchen-/Gemeinde-Establishment. Sie brannten darauf, in neue musikalische Territorien vordringen zu können. Reba Rambo gründete mit ihren Eltern Dottie und Buck die unter dem Namen „Singing Rambos“ bekannte Gospelgruppe. Das war eine der ersten Gruppen der „Vereinigten Pfingstler“ („United Pentecostals“) aus der „Jesus Only“ (= „Nur Jesus“)-Bewegung, die mit ihrer Musik der Hauptrichtung der Evangelikalen beitrat. Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass die „World Pentecostal Fellowship“ (= „Weltweite Gemeinschaft der Pfingstler“) seit den später 1940er Jahren den „United Pentecostalists“ nicht erlaubte, Teil ihrer Gemeinschaft zu werden, weil jene die Dreieinigkeit Gottes ablehnten. Die neo-pfingstliche Bewegung dagegen (späte 1940er bis in die 60er Jahre) und die Charismatische Bewegung öffneten ihre Arme weit für solche Künstler wie das „Lanny Wolffe Trio“. Reba Rambo kam ihrerseits mit dem Pop-Album „Reality“ Solo heraus. Aus demselben musikalischen Stall voller Künstler (auch „Heartwarming“ oder „Impact of Nashville“ genannt) kam Gene Cotton mit einer Folk-Rock-Mischung hervor. Beide LPs wurden bei Bob MacKenzie produziert, der die möglichen Potenziale der neuen Musikform in den 1970er Jahren aufsteigen sah.

Ebenfalls 1970 trat ein bekehrter Hippie namens Larry Norman gleichzeitig mit der Jesus-Welle auf. Das brachte ihm den Titel des Vorläufers der „Jesus-Musik“ ein. Er war aber nur Teil einer ganzen Bewegung.

Der Damm des amerikanischen Christentums brach nun mit gewaltigem Krachen. „Danny Lee and the Children of Truth“ (= „Danny Lee und die Kinder der Wahrheit”) wurden mit ihrem Song „One Way“ (= „Einbahnstraße“) zum Kennzeichen der Jesus-Bewegung. Mylon LeFevre trennte sich von „The LeFevres“, einer der größten Gospelgruppen, und produzierte sein einfach „Mylon“ genannte Album. Bis heute gilt es als eines der besten Beispiele für Jesus-Musik. (In seiner Jugend schrieb Mylon den Song „Without Him“ [= „Ohne ihn“], der bei christlichen Jugendorganisationen berühmt war.)

Die Welt beantwortete das mit einem ganzen Heer von lukrativen Songs, wobei die Rockoper „Jesus Christ Superstar“ ihnen den Weg ebnete. Zunächst war das nur ein Album, aus dem aber dann eine Broadway Show und schließlich ein Film wurde. Mit dem außerhalb des Broadways aufgeführten Musical „Godspell“ wurde Amerika eine Aufführung einer völlig neuartigen Interpretation des Evangeliums nach Matthäus gegeben. Diese Rockoper wurde ursprünglich geschrieben, um das Christentum zu verspotten, indem es als alberne Religion hingestellt wurde. Viele einzelne Songs aus dieser Rockoper, wie z.B. „Prepare Ye the Way of the Lord“ (= „Bereite dem Herrn den Weg“), wurden in Kirchen/Gemeinden und auf „christlichen“ Hochschulgeländen über ganz Amerika gesungen. Die „Byrds“ aus England sangen „Jesus Is Just Alright“ (= „Jesus ist schon ganz in Ordnung“). Judy Collins nahm eine ziemlich simple Einspielung von „Amazing Grace“ (= „Erstaunliche Gnade“) auf. In seinem Song „Everything Is Beautiful“ (= „Alles ist wunderschön“) brachte Ray Stevens seine weltliche Version von „Jesus Loves the Little Children“ (= „Jesus liebt die kleinen Kinder“) unter die Leute. Ja, sogar die „Pacific Gas and Electric“ Gesellschaft warfen ihr Musikstück „Are You Ready?“ (= „Bist du bereit?“) in den wachsenden, ökumenischen Mischmasch-Topf. Turley Richards sang „I Heard the Voice of Jesus“ (= „Ich hörte die Stimme Jesu“). ”Simon and Garfunkel”, die ansonsten nicht sehr viel über Jesus sangen, kamen mit dem extrem bewegenden Song ”Bridge over Troubled Water“ (= „Brücke über aufgewühltes Wasser“) heraus.

Johnny Cash, ein Gigant der Musikindustrie, ging mit dem Bekenntnis seiner „Bekehrung“ an die Öffentlichkeit. James Taylor schmetterte „Look Down upon Me Jesus“ (= „Sieh auf mich herab, Jesus“). auf dem Album „Fire and Rain“ (= „Feuer und Regen“). Nicht zu vergessen war da auch noch B. J. Thomas, der bekehrte englische Rockstar, der „Mighty Cloud of Joy“ (= „Mächtige Freudenwolke“) sang. Letzterer, der in dem Billy Graham Film „The Prodigal“ (= „Der Verschwender“) sang, wurde in derselben Woche mit Drogen erwischt, in der dieser Film in Dunn (North Carolina, USA)4 herauskam. Es ist schon einige Jahre her, seit ich seinen Pianisten in Fayetteville (ebenfalls North Carolina) kurz vor ihrem Konzert an der Oral Roberts Universität persönlich interviewt habe. Dieser junge Mann spielte während der Woche in den Striplokalen von Fayetteville, an den Wochenenden aber machte er bei Thomas in seinen „christlichen“ Konzerten mit.

Der Fluss der Jesus-Bewegung erweiterte sich nun in einen reißenden Strom, und die musikalische Frage könnte durch den Text eines anderen Songs dieser Zeit gestellt werden: „What’s All About, Alfie?“ (= „Was soll das eigentlich alles, Alfie?“).

Es wurde immer klarer, dass sich hier eine Revolution abspielte, in der die Sicht der Welt auf Christus gemeinsam mit den Beatles und den satanischen Gruppen gesponnen wurde. Musik sollte ein integraler Bestandteil der Veränderung werden, die anbrach.

 

7. Die letzten Jahrzehnte der Gospelmusik

Die letzten Jahre (von 1985 bis 1997) haben der Gospelmusik eine Wiederbelebung ihrer Popularität gebracht. Restaurants, Familientreffen, Gemeinde- oder landesweite Märkte, politische Veranstaltungen und selbst die Freizeitparks (wie Bush Gardens, King’s Dominion und Carowinds) profitieren landesweit vom lukrativen und unterhaltsamen Geschäft der CCM. Christliche Musik wird nicht mehr als wichtiges Mittel zur Anbetung gesehen, sondern als Unterhaltung, die auf die Bühnen dieser Welt gekommen ist. Das alles ist zum Bestandteil des landesweiten religiösen Abfalls von Gott geworden. In den später 1970er und frühen 80er Jahren hatten uns die Vorreiter der Gospelmusik bereits angekündigt, dass eben das passieren würde (und ihre Musik hat dabei geholfen). Ralph Carmichael, der einige Male verheiratet und wieder geschieden ist, schwimmt immer noch im Hauptstrom von CCM mit. Leider müssen wir dazu sagen, dass seine Musik von einer ganzen Anzahl unserer fundamentalistischen Musiker für ihre Aufnahmen genutzt wird. Wir möchten noch einmal betonen dass dieser Mann einer der berühmtesten Befürworter von heutiger Musik ist; er ist schon so etwas wie ein Patriarch dieser Bewegung. Pastor Mike Harding hat öffentlich Stellung gegen den Gebrauch von Steve Greens Musik durch fundamentalistische Christen genommen (und Recht hat er darin). Dasselbe gilt für Ralph Carmichaels Musik. Letzterer ist ein sehr talentierter Mann, der viel wesentlicher zum Abfall des Neo-Christentums beigetragen hat, als Steve Green. Carmichael hat versucht, die Kirche/Gemeinde Jesu mit seinen Seminaren und Musikschulen zu überzeugen, dass sie ihren Musikern die Freiheit zum Experimentieren mit allen Formen der Musik lassen sollen. Andere halfen ihm in diesem Werk der Verweltlichung bzw. Umgestaltung der christlichen Musik, um sie dem Geschmack der Welt mehr anzugleichen. O. D. Hall jun., ein früherer Erfinder von CCM und Musikleiter an der Van Nuys Baptistengemeinde in Kalifornien (USA), sagte in den frühen 1980er Jahren, dass „die Wand zwischen weltlicher und heiliger Musik zusammenbricht, wobei gleichzeitig das Wesen der traditionellen Kirche/Gemeinde vergehen wird. Das ist gut für die Kirche/Gemeinde.“ Bill Gaither, der preisgekrönte Gospelsongschreiber, sagte etwa vor 20 Jahren, als er mit dem „eklektischen“ Sound experimentierte: „Ich sehe voraus, dass die Musik in alle möglichen Richtungen gehen wird. Ich glaube, wir als Mitglieder des Leibes Jesu sollten uns vorbereiten, damit uns das nicht nervös macht.“

 

8. Die einflussreichen Persönlichkeiten der CCM

Die Dove- und Grammy-Auszeichnungsgewinnerin Amy Grant ist eine von den CCM Persönlichkeiten, die seit den Tagen ihrer beginnenden Karriere eine Vorreiterin in Innovation gewesen ist. Sie fing an, indem sie an Wochenenden herumreiste und während ihrer Studentenzeit an der Furman Universität (in Greenville, South Carolina, USA) Musikaufführungen gab. Sie ist wohl die bekannteste Künstlerin der CCM. Sie ist eine bekennende „Christin“, die aber viel eher nur eine Entertainerin ist, als eine „christliche Entertainerin“. Sie wurde zur ersten Künstlerin der CCM, die von der „christlichen“ Seite zur Popseite wechselte und mit dem Song „Find a Way“ (= „Finde einen Weg“) auf Platz 40 der Hitliste landete. Bereits 1979, als sie „My Father’s Eyes“ (= „Die Augen meines Vaters“) herausbrachte, wurde sie auf dem Album mit weit offener Bluse und einem „come-on“ (= „anmachenden“) Blick gezeigt. Wenn man auf die andere Seite treten will, muss man so genannte „christliche“ Songs nehmen, die für einen zweideutigen Zusammenhang genutzt werden können. Ein klassisches Beispiel dafür ist ihr Song „Baby, Baby“. In regelmäßig erscheinenden „christlichen“ Interviews hat sie ausgesagt, das sie beim Schreiben des Songs an ihr kleines Baby gedacht hätte, aber die zuhörende Menge hat dabei etwas anderes im Sinn. Ihre Songs verließen mehr und mehr den religiösen Bereich und wurden immer philosophischer. Auch ihr Ehemann Gary Chapman ist zu einem wichtigen Einflussfaktor für den Verlauf ihres Übertritts geworden. In der Öffentlichkeit stand sie oft in der Kritik. So schrieb z.B. das Rolling Stones Magazin vor einigen Jahren über ihren Besuch einer FKK-Kolonie in Europa. Auch wenn es einen Skandal wegen dieses unchristlichen Lebensstils gegeben hat, wuchs schon nach wenigen Monaten Gras über die Sache und ihre Popularität unter den CCM Anhängern regenerierte sich. Durch diesen Zwischenfall hat sie jedoch eine ganze Menge Bewunderer aus der Rockwelt gewonnen.

Ein weiterer einflussreicher Gospelkünstler in den später 1970er und frühen -80er Jahren war Andrae Crouch, der die mitreißenden CCM Songs „My Tribute“ (= „Mein Beitrag“) und „The Blood Will Never Lose Its Power“ (= „Das Blut wird niemals seine Kraft verlieren“) geschrieben hat. Die Texte dieser beiden Songs deuteten einen wahrhaft konservativen, fundamentalistischen Hintergrund an. Er war ein schwarzer Sänger, der für den Großteil seiner Karriere Ralph Carmichaels Light Records nutzte. Dennoch brachte ihm seine Inhaftierung wegen Kokainbesitz 1982 landesweite Schlagzeilen ein. Das zeigt auch die große Zahl von CCM Künstlern, die in Drogen und Unmoral verstrickt sind. Seine Kompositionen für die „sitcom5 „Amen“ und seine Arbeit am Soundtrack für Steven Spielbergs Film „The Color Purple“ (= „Die Farbe Lila“) zeigt, wie weit die musikalischen Verstrickungen in ganz andere als „christliche“ Dinge unter den CCM Komponisten und Sängern gehen.

Eines der heißen Eisen im Dunstkreis der CCM Jugend ist (für viele Jahre jetzt schon) die revolutionäre Persönlichkeit von Carman Dominic Licciardello (besser unter dem einfachen Namen Carman bekannt). Er nahm angeblich Christus an, nachdem er ein Konzert von Andrae Crouch in Disneyland besucht hatte. Seine Gesangskarriere schnellte bis zur landesweiten Anerkennung hoch, nachdem Bill Gaither 1981 eine seiner Aufführungen im Estes Park gehört hatte. In der Folge lud Gaither ihn auf eine Tournee mit dem „Bill Gaither Trio“ ein. Bekannt ist er durch seine Musikgeschichten wie z.B. „The Champion“, „Revival in the Land“ (= „Erweckung im Land“) und „Lazarus“ geworden. Paul und Jan Crouch von TBN6 verehren und fördern ihn, wo sie nur können. Seine Musik ist zu einem klassischen Beweis dafür geworden, dass der Starkult ein integraler Bestandteil der heutigen Musik ist. Sein Musikstil ist harter Rock mit Einstreuungen von Rap, allerdings erst in letzter Zeit.

Eines der Rätsel von CCM war Keith Green. Vor einigen Jahren gab mir jemand einen Rundbrief seiner „Last Days Ministries“ (= „Geistlicher Dienst der letzten Tage“), den ich mit echtem Interesse gelesen habe (er enthielt leider kein Bild von ihm). Seine Artikel verdammten alle „christlichen Gruppen“, die Geld für ihre Konzerte und ihre Platten nahmen. Er selbst würde an keinem Konzert teilnehmen, für das Eintritt genommen würde und seine Aufnahmen wären frei. In seinem Rundbrief waren einige Artikel von Leonard Ravenhills Schriften über Erweckung und Geistlichkeit abgedruckt. Sie waren voller „fundamentalistischer“ Kraft. Einige Wochen danach bekam ich eines seiner Alben „So You Wanna Go Back to Egypt“ (= „So, du möchtest also nach Ägypten zurückkehren“). Als ich sein Bild auf dem Cover sah (das Bob Dylan sehr ähnlich sah), wusste ich gleich, das wir in Schwierigkeiten steckten. Bereits die Einführung des Titelsongs machte klar, dass dem Hörer ein harter Rockritt bevorstand. Er gehörte scheinbar zu den „Wiederkäuern“ (auch wenn ich ihn nicht persönlich kennen gelernt habe). Aber wenn man sein Bild gesehen und seine Musik gehört hatte, so war offensichtlich, dass sein „Hufe nicht gespalten“ waren7. Tragischerweise kam er Mitte 1980 zusammen mit zwei seiner Kinder bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe seines Hauses ums Leben. Seine Frau Melody wurde ermutigt, seine Arbeit fortzuführen und seine Aufnahmen und Rundbriefe weiterhin herauszugeben.

CCM hat auch sehr umstrittene Entertainer gehabt, wie z.B. „Stryper“. Die Gruppe bildete sich 1983, als Mitglieder der „glam-metal“ Band „Roxx Regime“ aus L.A. (= Los Angeles, Kalifornien, USA) sich angeblich zu Christus bekannten und das Evangelium von da an durch ihre „heavenly metal“ (= „himmlische Metallmusik“) verbreiten wollten. Wegen ihrer gelben und schwarzen Elastananzüge, ihrer Bühnenshows und Requisiten, bis hin zu ihrer Gewohnheit, kleine Neue Testamente in die Menge zu werfen, wurden sie von den extremen „Jesus People“ geliebt und waren bei den eher Konservativen verhasst. Dennoch haben sie mit ihrer „christlichen Glitzer-Show“ ein gutes Geschäft gemacht.

Ohne Zweifel hat Sandi Patty vielen CCM-Anhängern viel Kummer bereitet. Man kennt sie als Frau mit der über vier Oktaven reichenden goldenen Stimme. Genau wie Steve Green fing sie in der konservativen Ecke von CCM an, wechselte dann aber langsam in den Hauptstrom des Southern Gospel und den Sound von „Praise“ (= „Anbetung“) über. Oft sang sie zusammen mit Larnelle Harris, ein sehr konservativ gekleideter schwarzer Tenor innerhalb der Gospelszene. Sie hatten beide einen großen Stimmenumfang und passten gut zusammen. Ihre Interpretation eines Potpourris patriotischer Lieder gefiel ABC Network so gut, dass sie es als Hintergrundmusik für ihre Fernsehsendung über die Einweihung der restaurierten Freiheitsstatue ausstrahlten. Sandi Pattys konservatives Image brach jedoch in sich zusammen, als ihr Ehemann sie verließ, weil sie (über drei Jahre hinweg) Ehebruch mit einem Mitglied ihrer Tourneegruppe getrieben hatte. Ihr Video „The Voyage“ (= „Die Reise“), das gleich nach dieser Enthüllung herauskam, zeigte bereits den Wandel in ihrem Gesangsstil und ihrem Aussehen, der bald eintreten sollte.

Ein weiterer Einfluss, der wie eine Quer-Strömung des CCM wirkt, stellt die Musik von Dottie Rambo dar, dessen Songs in die tausende gehen. Die Einzigartigkeit ihrer Anwesenheit in der CCM liegt darin, dass sie zu „Jesus Only“ gehört, bzw. zu den „United Pentecostal“ (= „Vereinigte Pfingstler“). Sie und neuerdings auch ihre Tochter Reba sind von der Charismatischen Bewegung voll akzeptiert. In jungen Jahren halfen sie die trinitarische8 Wand nieder zu reißen, welche die verschiedenen Abspaltungen der Pfingstler (trinitarisch bzw. nicht-trinitarisch) trennte. Die letzten Jahre haben Dottie Rambos körperlichen Verfall an den Tag gebracht, der unter den charismatischen Heilern Lehr-Verwirrung angerichtet hat. Ihre Musik reicht bis tief in die verschiedenen Untergruppierungen von CCM hinein und half in der Umwandlung ihres Sounds und ihres Inhalts. Das bereitete auch anderen Musikgruppen der „Jesus Only“ Bewegung den Weg, so dass sie sich heute im Evangelischen Lager zuhause fühlten.

Es ist nicht möglich, die Vielzahl der Gruppen der CCM Industrie aufzulisten, weil ihre Anzahl riesig ist gegenüber etwa einem Dutzend Gruppen, die jeden Monat professionelle Musiker werden. Welchen Musikstil die Öffentlichkeit auch immer wünscht, man kann ihn im breiten Spektrum der CCM Szene finden. So wie heute Nostalgie wieder in Mode kommt und der 1950er Sound des Rock’n’roll zurückkehrt, so kehren auch Southern Gospel und Musikkonvente zurück (und erfreuen sich wachsender Akzeptanz). Es ist erstaunlich, wie viele konservative Evangelikale sich zu diesem Gesangsstil hingezogen fühlen und wie viele ihrer örtlichen Gemeinden langsam dorthin gebracht werden, es in ihr eigenes Liedrepertoire aufzunehmen. Was den Rock Sound anbetrifft gingen Jerry Falwells Musikgruppen bereits in den späten siebziger Jahren den „Weg alles Fleisches“. CCM brachte die örtlichen Gemeinden dazu, die Gospelmusik jetzt mehr als Show und als Unterhaltung für die Zuhörer zu spielen. Die gut etablierte „Karaoke-Musikkonserve“ von CCM wurde schnell zu einer Attraktion in den fundamentalistischen Kirchen/Gemeinden. Die aufgezeichnete Begleitung gibt selbst den schlechtesten Sängern einen professionellen Touch. Die Leute verlangten danach, deshalb wurde es nötig, diese Musik mit einem fundamentalistischen Aufkleber zu versehen.

Als Christ muss ich mein Zeitalter kennen, so dass ich mich ihm nicht angleiche (Römer 12,2a). Ich muss das Böse erkennen, so dass ich es meiden kann (1. Thessalonicher 5,22). Das Neochristentum glaubt, es kann das Fleisch und den Geist im Dienst zusammenbringen, so dass alles gut läuft. Es ist davon überzeugt, dass Gott heute den Philister-Karren akzeptiert, um die Bundeslade zu tragen, und dass das Bestehen auf bestimmten Methoden grundsätzlich „unmoralisch“ sei. Solange die Leute nur Gott anbeten, sei der Gebrauch eines „Karrens“ gerechtfertigt. Doch die Art und Weise, wie die Evangeliumsbotschaft „getragen“ wird, ist genauso wichtig, wie der Besitz der echten „Bundeslade“. Ja, unsere Musikleiter haben uns schon vorher gesagt, dass die Musik selbst die Botschaft ist, egal was die Texte aussagen. Möge Gott uns helfen, dass wir die Botschaft in einer biblisch korrekten Art und Weise hinaus tragen.

 

1Shaped-notes“ (= „geformte Noten“) ist eine Technik zur Vereinfachung des Erlernens neuer (christlicher) Lieder. Oftmals vier, später auch sieben Noten der Tonleiter eines Liedes bekamen eine besondere Form, so dass ihre Tonhöhe optisch sofort zu erkennen war. Bei einem neuen Lied wurde zuerst die Melodie auf diese Tonsilben gesungen und dann erlernte man den Text für die einstudierte Melodie.

Die Technik geht auf die Solmisation zurück, ein von Guido v. Arezzo (11. Jh.) ausgebildetes System, bei dem die Töne der Tonleiter anstatt mit c, d, e usw. mit den Tonsilben ut (später: do), re, mi, fa, sol, la, si bezeichnet werden.

2 Arpeggio (pl.: Arpeggien) ist der musikalische Fachbegriff für einen Akkord, bei dem die einzelnen Töne nicht gleichzeitig, sondern nacheinander (in kurzen Abständen) erklingen. Man spricht auch von einem gebrochenen Akkord.

Das Wort leitet sich von „arpa“ (ital. für Harfe) ab, bedeutet also im Wortsinn, der Akkord solle wie auf einer Harfe gespielt werden.

3 „Grand Ole Opry“ ist die langlebigste Radio-Show der US-Rundfunkgeschichte. Die allwöchentlich aus Nashville (Tennessee, USA) übertragenen Country-Musik-Konzerte haben seit Jahrzehnten Kultstatus.

4 Dem Heimatort des Autors.

5 = Situationskomödie, das ist eine Serie von Radio- oder Fernsehkomödien mit unverbundenen Episoden bei gleich bleibenden Rollen.

6Trinity Broadcast Network“ ist ein ganzes Netz von „christlichen“, amerikanischen Sendern, die ihr Programm fast über die ganze Welt ausstrahlen.

7 Anzeichen für reine Landtiere aus dem Alten Testament (3. Mose 11). Im übertragenen Sinne bedeutet es, dass man einen Christen vor sich hat, der sich nicht von der Welt absondern möchte (Anm. d. Übersetzers).

8 Trinität oder Dreifaltigkeit/Dreieinigkeit bezeichnet in der christlichen Theologie die Lehre der Einheit der drei Personen des göttlichen Wesens: Gott Vater, Gott Sohn (Jesus Christus) und Gott Heiliger Geist (Geist Gottes). Die Dreieinigkeitslehre wird klar in der Bibel gelehrt und von fast allen Christen vertreten.