Teil III: Gefahr und Chance

8. Der elektronische Sozialisator

Man nennt ihn den „Gott mit dem Glasgesicht“. Die Amerikaner sitzen im Schnitt 50 Stunden in der Woche davor und starren es an, das ist mehr Zeit, als die meisten in ihrem Beruf arbeiten, als Kinder in der Schule verbringen oder als viele Erwachsene schlafen. In nahezu jedem Haus oder jeder Wohnung in diesem Land steht einer und die meisten haben sogar mehr als nur einen. Den Einfluss des Geräts sieht man im Kaufverhalten, im Abstimmverhalten bei Wahlen und im gesellschaftlichen Verhalten der gesamten amerikanischen Nation und großen Teilen der Welt. Es ist ein Phänomen der modernen Welt. Vor 1950 war das in den allermeisten Haushalten nicht bekannt. Heute stellt es den Haupteinflussfaktor der Lebenseinstellung von Millionen dar. Ich spreche vom Fernsehen, dem Medium, das dabei hilft, Amerika auszulöschen.

Oft erzähle ich meinen Seminar-Zuhörern, dass die drei größten Bedrohungen für unser nationales Überleben meiner Meinung nach das Fernsehen, moderne Musik und das öffentliche Schulsystem sind; denn diese drei Dinge beeinflussen das Denken in unserem Land sehr weitreichend. Oft genug sorgen diese Medien auch dafür, dass wir überhaupt nicht mehr nachdenken.

Bevor sie dieses Kapitel als eine weitere durchsichtige Schmährede über die „Flimmerkiste“ überschlagen, entspannen sie sich erst einmal. Ich werde keinen Teller voll halbwahrer Statistiken über sie auskippen. Sie haben davon schon genügend gehört – und haben sie ihren Lebensstil dadurch irgendwie verändert? Ich möchte nur einmal kurz zunächst als ein Bruder im Herrn mit ihnen reden und sie bitten, einige Ideen übers Fernsehen zu überdenken, über denen ich schon lange Zeit brüte und die in meinen Augen Sinn machen.

Nach einem Werkstatt- oder Seminarunterricht, in dem ich die Abhängigkeit vom Fernsehen gegeißelt hatte, kamen eine Mutter und ein Vater auf mich zu und sagen: „Wir besitzen einen Fernseher, aber wir haben ihn unter Kontrolle.“ Ich stelle nicht in Abrede, dass es Leute gibt, die das Fernsehen nutzen, ohne dem Kasten zu erlauben, sie zu versklaven. Dennoch glaube ich fest, dass vielleicht nur einer von tausend, wenn nicht sogar noch weniger, keine Zeit beim Fernsehen verplempert und am Ende auch keine geistlich schädlichen Inhalte aufgenommen hat.

Auf jede Person, die das Fernsehen richtig nutzen und unter Kontrolle halten kann, kommen Massen von solchen, die es nicht können. Seit unserer Hochzeit vor 20 Jahren haben Marilyn und ich keinen Fernseher besessen, mit Ausnahme eines Schwarz-Weiß-Modells, den wir als Monitor für unseren ersten Computer zusammen mit dem PC von derselben Familie geschenkt bekommen hatten. Wir haben ihn nie zur Unterhaltung genutzt. Ich weiß nicht einmal, ob er Fernseher für seine ursprüngliche Bestimmung brauchbar wäre. Ich weiß aber genau, dass ich der Versuchung leichter Unterhaltung nicht einmal den kleinen Finger reichen darf.

Meine erste Einwendung gegen das Fernsehen ist: Ich kann nicht einsehen, wie irgendjemand die Zeit rechtfertigen kann, die fernsehen kostet. Wenn sie in der Woche einige Stunden zum Verschleudern übrig haben, dann muss ihr Leben ziemlich öde sein. Überall um uns herum gibt es geistliche und körperliche Nöte und wir haben als Christen die Verpflichtung, uns etwas aus diesem Schlamassel herauszusuchen und dem abzuhelfen. Es betrübt mich, dass die meisten Christen meinen, sie könnten alles mit ihrer Zeit anstellen, was sie selbst wollen. Gro­ße Teile verbringen sie in einer Art von Beschäftigung, die gar keine ist, und keine irgendwie geartete Frucht hervorbringen wird. Wenn ich darüber nachdenke, kommt mir das Bild eines Königs in den Sinn, der auf seinem Thron sitzt und sich die Possen seines Hofnarren ansieht. Er ist der Herrscher des Königreichs und nimmt sich das Recht heraus, mit seiner Zeit zu tun, was immer er will. Wenn dabei herauskommt, dass er eine gute Zeit hat, dann ist das vollkommen in Ordnung. Natürlich sind die Gläubigen in gewissem Sinne Könige, dennoch sollen wir uns selbst als Diener sehen. Wir befinden uns in dieser Welt, um Nöten zu begegnen und nicht, um eine gute Zeit zu haben.

Verstehen sie mich nicht falsch. Ich habe den Spaß genauso gern wie jeder andere auch. Ich will nur sagen, dass Gott Prioritäten für unser Leben gesetzt hat. Es gibt eine von ihm gesetzte Grenze fürs Ausruhen und Kraft tanken. Es würde mir nicht im Traum einfallen, ihnen vorzuschreiben, wie viele Stunden ihnen Gott pro Woche genehmigt hat. Sie stehen und fallen ihrem eigenen Herrn und ich bin über niemanden als Meister eingesetzt. Dennoch nehme ich mir das Recht heraus darauf zu bestehen, dass sie für den Umgang mit ihrer Zeit verantwortlich sind und eine sinnvolle Einteilung finden müssen. Sie gehören nicht sich selbst, sondern wurden zu einem hohen Preis erkauft. Sie können ihren Leib nicht als lebendiges Opfer hingeben und sich dann das Bestimmungsrecht herausnehmen, was mit diesem Körper die ganze Zeit über zu passieren hat. Deshalb bitte ich sie, darüber nachzudenken. Treffen sie verantwortungsbewusste Entscheidungen und lügen sie sich nicht selbst in die Tasche.

Wenn sie sich darüber klar geworden sind, wie viel Zeit für Erholung angemessen ist, dann sollten sie darüber nachdenken, wie diese Zeit am Besten verbracht werden sollte. Ich fordere sie heraus, mir eine Stunde Fernsehen aufzuzeigen, die sie nicht anders hätten besser verbringen können. Bedenken sie, dass Christen nicht einfach nur keinen Schaden anrichten sollen, sondern soviel Gutes in den Stunden und Tagen tun sollen, wie nur irgend möglich, um das, was Gott uns gegeben hat, optimal auszunutzen. Schließlich wissen wir nicht, wie viel Zeit uns auf Erden noch bleibt. Wir wissen nur, dass es bis heute gereicht hat.

Wenn sie dieses bedenken, können sie sich dann wirklich die Stunde vor dem Fernseher erlauben? Nehmen wir an, was sie sehen ist absolut harmlos und sogar lehrreich, ist es deshalb aber schon eine gut genutzte Stunde? Wenn es ein Lehrfilm ist, könnten sie dann vielleicht mehr über das Thema aus einem Buch lernen? Wenn es andererseits bloße Unterhaltung ist, wäre die Stunde dann nicht besser genutzt, wenn sie mit ihrer Tochter Tennis spielen oder mit ihrem kleinen Jungen zum Fischen gehen würden? Sie verstehen, was ich sagen will.

Eine Frage, die ich Leuten immer stelle, die ihren Fernsehkonsum strikt eingeschränkt haben, ist diese: Können sie diese Belehrung oder Erholung ohne Beimischung von schädlichen Inhalten bekommen? Satan liebt es, einen Löffel Gift unter eimerweise Harmlosigkeit zu verstecken. Nicht jedes Gift tötet auf der Stelle, einige Sorten häufen sich im Körper an und bringen einen dadurch um. Wenn es in ihrer Wissensshow um wissenschaftliche Inhalte geht, sind dann Elemente der Evolution oder humanistischer Philosophie darunter gemengt? Wenn sie eine Unterhaltungsshow sehen, findet man dann Spuren von Unreinheit oder verdeckte Verachtung für Einzelpersonen oder Personengruppen (oder vielleicht sogar etwas gegen Gott und seine Werte) darin? Das gilt z.B. für Comedy-Shows.

Während sie das alles abwägen, vergessen sie bitte nicht, dass alles, was sie tun, ein Vorbild für ihre Kinder ist. Wir sagen unseren Kindern nicht, dass alles im Fernsehen schlecht ist, oder dass jeder, der jemals fernsieht, grundsätzlich schlecht ist. Wir bringen ihnen bei, dass es sich nicht lohnt, einen TV-Apparat zu haben, weil so wenig Gutes gesendet wird und die Chance, sich dadurch Schlechtes anzusehen, so groß ist. Wir sind uns bewusst, dass Kinder das Beispiel ihrer Eltern als Rechtfertigung nutzen, um dasselbe tun zu können, oft genug gehen sie noch darüber hinaus. Wenn sie das Fernsehen nutzen, verstehen ihre Kinder dann wirklich die Kriterien ihrer Programmauswahl? Oder werden sie eines Tages nicht doch ein wenig zu unbekümmert über das sein, was durchs Kabel kommt, weil Mutter und Vater ja auch manchmal ferngesehen haben?

Es gibt eine alte Geschichte über einen Mann, der Christ wurde und aufhörte am Wochenende zu trinken. Manchmal nahm er aber in Gesellschaft etwas Alkoholisches zu sich. Eines verschneiten Abends warf er seinen Mantel um und machte sich auf den Weg in seine Kneipe. Aus irgendeinem Grund schaute er noch einmal über die Schulter, bevor er noch weit gekommen war. Da sah er seinen kleinen Sohn, wie er ihm folgte und seine Schuhe immer genau in die Fußabdrücke seines Vaters stellte, damit seine Füße nicht nass wurden. Sofort traf den Mann die Bedeutung dessen, was sein Sohn tat, und wo er gelandet wäre, wenn er den Fußstapfen seines Vaters bis zu ihrem Ziel gefolgt wäre. Er machte kehrt, ging zu seinem Sohn zurück und sagte: „Komm, Junge, ich wollte gerade nach Hause gehen.“ Und während er den Jungen auf seine Schultern nahm, verursachte er Spuren in eine bessere Richtung.

Einer der Gründe, warum wir keine alkoholischen Getränke in unserem Haus haben, ist unsere Erkenntnis, dass wir nie zu Alkoholikern werden können, wenn wir niemals trinken. Warum sollten wir unsere Familie Versuchungen aussetzen, die weder hilfreich noch nützlich sind? Dieselbe Logik wenden wir beim Fernsehen an. Wir brauchen es nicht und wenn wir keins haben, werden unsere Kinder nie eine Abhängigkeit dafür entwickeln können.

Neulich sprach ich auf der Heimschulkonferenz in Virginia und erwähnte das Fernsehen in meiner Rede. Danach kam eine Dame zu mir herauf und wollte darüber reden. Sie meinte, dass sie und ihre Familie offensichtlich die eine von tausend wären, die das Fernsehen im Griff hätten, weil sie nur ein Paar Stunden in der Woche fernsehen würden und dann auch nur die Programme, die lehrreich und wirklich wichtig wären. Sie gehörte sichtlich nicht zu denen, die kommen, um über meine puritanischen Meinungen zu diskutieren. Sie wollte lediglich ganz sicher gehen und sehen, ob ich irgendetwas Schädliches in ihrem sehr eingegrenzten Fernsehkonsum finden konnte. Ich erzählte ihr, dass sie und ihr Mann offensichtlich Verantwortung und Vorsicht an den Tag legen würden und ich, der ich keine Ahnung hätte, was heute so im Fernsehen gezeigt würde, nicht versuchen würde, ihre Auswahl zu kritisieren. Ich bat sie darüber nachzudenken, welche Einflüsse in Form von Werbung durch die Röhre zu uns kommen würden.

Ich habe mal gelesen, dass Werbefachleute mehr Zeit in einen Werbefilm von 30 Sekunden investieren, als für die Herstellung eines 30-minütigen Programms aufgewendet wird. Das bedeutet doch, dass enorme Geldmengen und die besten verfügbaren Talente in die Entwicklung eines Werbefilms gesteckt werden. Voller unterschwelliger Botschaften basieren diese kurzen Werbespots auf ganzen Bänden von psychologischen Erkenntnissen. Ihre Wirksamkeit wird dadurch bewiesen, dass deren Geldgeber es für profitabel halten, weiterhin unglaubliche Summen für ihre Herstellung zu zahlen.

Was ist der Zweck eines Werbefilms? Er soll Bedürfnisse im Publikum wecken. Es wird vorausgesetzt, dass der Zuschauer das Produkt noch gar nicht haben will oder es sich jedenfalls noch nicht so sehr wünscht, dass er losgeht und es sich ohne jedwede Ermutigung kauft. Mit anderen Worten soll Habgier in den Zuschauern erzeugt werden. Man braucht nur wenige Werbespots zu sehen, um eine große Anzahl klug ausgedachter Tricks zu sehen, die dieses Verlangen hervorbringen oder intensivieren sollen. Werbefachleute haben gelernt, dass Sex sich gut verkaufen lässt. Attraktive, junge und spärlich bekleidete Models helfen, alles zu verkaufen – von der Zahnpasta für die Zahngesundheit bis zu alkoholfreien Getränken zum Verfaulen der Zähne. Andere Werbefilme benutzen Eifersucht, Sozialstatus, Angst, Wünsche nach Bedürfnisbefriedigung und eine große Fülle anderer Erwägungen, um Produkte, die niemand braucht, an Leute zu verkaufen, die ihr Geld lieber anders verwenden sollten. Es ist schwer, wenn nicht gar unmöglich für christliche Familien, beim Fernsehen dieser Falle zu entgehen und sich selbst nicht für das Bombardement von mächtigen, unterschwelligen und anti-göttlichen Gedanken zu öffnen. Was sind denn nun einige der im Fernsehen angebotenen Produkte? Die schädlichen und nutzlosen Dinge werden zusammen mit den nützlichen angeboten. Wollen wir unsere Kinder wirklich hochwirksamen psychologischen Tricks aussetzen, die ein Verlangen nach Barbie schüren, deren Rolle im Leben darin besteht, alles zu besitzen und immer nach der neuesten Mode gekleidet zu sein? Was wollen wir unseren Kindern noch sagen, wenn wir das in unseren Häusern dulden?

Eine Versuchsstudie von Tan (1979) zeigte, dass jugendliche Mädchen, die vielen Schönheitswerbespots ausgesetzt waren, viel eher glaubten, dass äußerliche Schönheit ein wichtiges Wesensmerkmal und notwendig sei, um Männern zu gefallen, als eine Kontrollgruppe von Mädchen, die keine Werbespots zu sehen bekamen. 23 Mädchen aus der gymnasialen Oberstufe (16-18 Jahre alt) sahen 15 Werbefilme, die sexuelle Anziehungskraft, äußerliche Schönheit und jugendliches Aussehen betonten (z.B. Spots für Zahnpasta oder Seife), während 33 Mädchen Werbefilme ohne Schönheitsbotschaften sahen (z.B. Spots für Hundefutter, Sojasauce oder Windeln). Danach sollten alle die relative Bedeutung von 10 Attributen (z.B. hübsches Gesicht, Intelligenz, sexuelle Anziehungskraft, Fleiß, jugendliches Aussehen und Kompetenz) in jeder von vier Bereichen (Karriere/Beruf, Leben, Ansehen bei Männern und erstrebenswerte Persönlichkeitsmerkmale) einschätzen. Die Gruppe mit den Schöheitswerbefilmen schätzte den Wert der sexuellen Anziehungskraft auf Männer deutlich höher ein, als die Gruppe mit den neutralen Werbefilmen. Eine geringe Wertverschiebung in derselben Richtung fand man beim Punkt „persönliche Attraktivität“.1

Wenn sie als Leser nun den Eindruck haben, dass ich doch nie einen Fernseher besessen hätte und deshalb persönlich nichts über seine positiven und negativen Seiten wissen könne, möchte ich hier kurz unterbrechen und versichern, dass das Fernsehen und ich einander bereits „vorgestellt“ wurden. Tatsache ist, dass ich mit dem Fernsehen aufgewachsen bin, und das erzähle ich auch immer in meinen Seminaren. Das war noch in grauer Vorzeit, bevor das Kabelfernsehen uns eine solche Bandbreite von Müll in unsere Wohnzimmer lieferte. Dennoch gab es auch damals schon kaum etwas Lehrreiches in der Flimmerkiste. Ich liebte aber das Fernsehen und jeden Tag, wenn ich von der Schule nach Hause kam, zählte ich die Stunden bis zur Hauptsendezeit. Ich erinnere mich noch an die Sommer meiner späten Schulzeit, nachdem meine Eltern sich hatten scheiden lassen und ich zu Hause auf meine kleineren Geschwister aufpassen musste, während Mutter arbeiten ging. Ich blieb bis spät in die Nacht auf, um die Spätshow, danach die noch spätere Show, dann die ganz, ganz späte, fast schon Früh-Show zu sehen. Dann verschlief ich den halben Vormittag des nächsten Tages, schwankte schlaftrunken herum, suchte etwas zum Frühstück und fragte mich, wie ich all die Stunden herumkriegen sollte, bis die guten Fernsehprogramme anfingen. Erinnern sie sich an die Programme tagsüber vor der Einführung des Kabelfernsehens? Dann wissen sie, wie ich gelitten habe.

Meine Fernsehabhängigkeit fing schon früh an. Ich denke, ich war ungefähr sechs Jahre alt, als ich eines Abends zum Fernsehen auf dem Sofa lag und mir gewünscht habe, nicht krank zu sein. Mutter riet mir, nicht fernzusehen, weil meine Kopfschmerzen dadurch schlimmer würden. Ich gehorchte, riskierte aber immer wieder heimlich einen Blick, während meine Eltern mit einigen Freunden in der Küche über Landkarten sprachen. Plötzlich brach die Welt zusammen: das Fernsehen ging aus – und das mitten in „Tombstone Territory“2!

Niemals werde ich das Gefühl der Verzweiflung vergessen, das mich übermannte. Mir war ganz elend zumute, weil ich ans Bett bzw. das Sofa gefesselt war. Das war für einen hyperaktiven Jungen wie mich die reine Qual. Meine Lebenslinie war durchschnitten worden. Die Situation war ein Desaster. So jung ich auch war, so wusste ich doch, dass es die Erwachsenen einige Zeit kosten würde, den Fernseher zu ersetzen. Das bedeutete für mich, dass ich einen, vielleicht mehrere Nachmittage ohne Fernseher auskommen musste. Darauf konnte es nur eine Antwort geben: meine Pulsadern aufschneiden.

Aber Wunder geschehen immer wieder. Jemand in unserem Haus hatte wohl von einem zum Verkauf stehenden, gebrauchten Fernseher gewusst. Mein Vater und sein Freund brachten das Gerät noch am gleichen Nachmittag herein, schlossen ihn an, richteten es ein und retteten mich damit. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Abhängigkeit vom Fernsehen irgendwann danach mal nachgelassen hätte.

Diese Fernsehhörigkeit ist ganz sicher nicht auf Kinder beschränkt. Ich kenne eine Dame, deren Mann Professor auf einem theologischen Seminar ist. Sie hatte jahrelang keinen Fernseher, bis einige Freunde oder Verwandte ihnen einen hübschen Farbfernseher schenkten. Man kann doch nicht einfach ein Geschenk wegwerfen. Stattdessen wurde der Mann abhängig von dem Kasten. Seine Beziehung zu seiner Frau und den Kindern verschlechterte sich, als er Stunden vor der Glotze verbrachte, die einst für Gespräche zur Verfügung gestanden hatten. Der Gipfel der Unrühmlichkeit war erreicht, als er sich entschloss, das Erntedankessen vor dem Fernseher einzunehmen, statt mit der Familie am Tisch zu sitzen. Ich kann nicht allein das Fernsehen für ihre schlussendliche Scheidung verantwortlich machen, aber es war auch nicht gerade eine Hilfe.

In Marie Winns Buch „Unplugging The Plug-in Drug“ (= „Den Stecker der Fernseh-Droge ziehen“) macht sie einige scharfsinnige Beobachtungen über die Fernseh-Abhängigkeit:

Es liegt an den psychosozialen Konsequenzen, insbesondere was die Auswirkungen auf Beziehungen und das Familienleben anbetrifft, dass Fernsehen so schädlich sein kann wie die Abhängigkeit von Drogen. Wir alle wissen von dem furchtbaren Tribut, den Alkoholismus und Drogenabhängigkeit von den Familien der Abhängigen fordert. Ist es möglich, dass Fernsehen ein ähnlich zerstörerisches Potential fürs Familienleben hat?

Die meisten von uns sind sich aus eigener Erfahrung dunkel der süchtig machenden Kraft des Fernsehens bewusst: unser zwanghafter Fernsehkonsum hält uns zu oft vom Gespräch miteinander, von gemeinsamen Aktionen, vom Arbeiten, Lernen und von Gemeinschaftsangelegenheiten ab. Die Stunden, die wir mit Fernsehen verplempern, lassen uns mit unerfüllter Neugier zurück. Am Ende sind wir deprimiert, selbst wenn das angeschaute Programm eine Komödie war. Und doch scheinen wir den Knopf zum Abstellen nicht zu finden, auch wenn wir es zunächst gar nicht anschalten wollten. Klingt das nicht verdächtig nach einer Abhängigkeit?3

Dem Fernsehen wurde als Forschungsgegenstand viel Aufmerksamkeit gewidmet und ich selbst möchte etwas später auch noch mehr darüber sagen. Es sollte jedoch deutlich gesagt werden, dass Fernsehen nicht nur wegen dem schädlich ist, was es einem Kind antut, sondern auch wegen dem, was ein Kind alles nicht tut, während es fernsieht.

Jede passiv vor der Flimmerkiste verbrachte Stunde raubt einem Kind die Zeit, um andere intellektuelle und körperliche Interessen und Talente entwickeln zu können. Fernsehen öffnet den Kleinen eine internationale Perspektive in der Abgeschlossenheit seines Zuhauses, während es ihm gleichzeitig Zeit für Erfahrungen an seiner eigenen Straßenecke wegnimmt. Seifenopern ersetzen Bücher. Ein Zuschauerplatz an der 50-Fuß-Linie verdrängt eigene Sportbeteiligung. Unkreative Ruhe stellt das kreative Spiel zurück. Lob von Bibo4 ersetzt das Gespräch mit den Eltern.5

Das fernsehende Kind spielt nicht und lernt keine natürlichen Lektionen. Studien haben gezeigt, dass Fernsehen eher dazu führt, dass Kinder fettleibig werden, weil sie lange Zeiträume still sitzen und mehr naschen. Viele Eltern missbrauchen das Fernsehen gerade deshalb als Babysitter, weil es hypnotische Kraft hat, so dass Kinder ruhig und für Stunden beschäftigt sind. Teilsweise hat das keinen psychischen, sondern einen körperlichen Grund. Marie Winn sagt aufgrund von Forschungsergebnissen, dass es eigentlich egal ist, was im Fernsehen gerade läuft, der Körper des Zuschauers zeigt die gleichen Symptome wie nach Einnahme von milden Beruhigungsmitteln. Elektronisches Benadryl6. Das hilft uns zu verstehen, warum es so schwer ist, ein Gespräch zu führen, wenn das Gegenüber fernsieht. Der Gesprächspartner ist nicht nur geistig abgelenkt, sondern ist auch körperlich wie in einem benommenen Zustand nach Drogeneinnahme.

Das fernsehende Kind spricht nicht. In den meisten Fällen hat es gerade mehrere Stunden in einem Klassenraum verbracht, wo ihm extrem wenig Gelegenheit zum Reden oder zum Reagieren auf die Antworten anderer gegeben wurde. John Holt zeigt auf, dass die Schüler in der Schule Gelegenheiten zum Sprechen brauchen, stattdessen aber die Lehrer dauernd reden. Im Schnitt verbringt ein Kind am Abend und am Wochenende viele Stunden damit, Inhalte aus der Flimmerkiste aufzunehmen, statt mit irgendjemandem zu reden. Das moderne amerikanische Schulkind hat weniger Gelegenheit, seine Sprachfähigkeiten zu entwickeln, als sein Gegenstück hundert Jahren vorher. Das ist ein Hauptgrund dafür, dass Fernsehen so erfolgreich im Unterdrücken der sozialen Entwicklung ist.

In einem Artikel, den ich vor Jahren einmal las, kommentierte jemand, dass die Leute keine Vordächer mehr an Häusern anbringen. Im Kern sagte er, dass wir in unserer sozialen Einstellung unseren Nachbarn gegenüber nachgelassen haben. Wir jammern, dass Klimaanlage und Fernseher uns zu Stubenhockern gemacht haben. Wir meiden die Verandas, Innenhöfe und Zäune, an die wir uns einst lehnten und ein Plauschchen mit den Nachbarn und Vorbeigehenden hielten. Der Autor hat Recht. Während ich bei Klimaanlagen aufblühe, würde ich es vorziehen, wenn mehr Leute ohne Fernseher lebten. Sowohl Kinder, als auch Erwachsene, profitieren von der Ausübung der Kommunikationsfähigkeiten. Während die meisten Erwachsenen diese Fähigkeiten in erheblichem Maße am Arbeitsplatz nutzen (einschließlich der Frauen neuerdings), sind die Kinder davon ausgeschlossen. Eltern führen auf der Arbeit oder zu Hause sinnvolle Gespräche, Kinder aber sitzen am Schreibtisch, wo sie Gesprächstechniken studieren, sie aber nicht in ihrer sinnvollsten Form anwenden dürfen. Zu Hause angekommen klemmen sie sich hinter den „allmächtigen Kasten“.

Kinder lesen auch nicht, während sie vor dem Fernseher sitzen. Marilyn und ich haben her­ausgefunden, dass die Kinder zu guten Lesern werden, wenn man ihnen vorliest und wenn das Haus mit vielen guten Büchern voll ist. Es ist natürlich leichter, den elektronischen Babysitter einzuschalten, anstatt zur Bibliothek zu gehen. Viele Eltern wählen den Weg des geringsten Widerstandes. Das verhindert, dass Kinder lernen geschriebene Symbole anzuwenden, die sie ihr ganzes Leben lang brauchen werden. Damit verschwinden noch mehr Gelegenheiten mit Menschen zu reden in dem – ups, Abflussrohr (entschuldigen Sie bitte, ich konnte nicht widerstehen).

Wenn ihr Kind mit der Aussprache oder Grammatik Probleme hat, dann hat es seine Nase vielleicht zu lange an den Bildschirm geheftet, anstatt sie in ein Buch zu stecken. Wir haben entdeckt, dass die meisten unserer Kinder keine Ausspracheübungen benötigten, weil sie mit der Phonem-Methode lesen gelernt haben und viele Wörter viele Male in Büchern gesehen haben. Sie können richtige und falsche Aussprache unterscheiden, wenn sie sie sehen, und deshalb brauchen sie nicht regelmäßig mit Wortaussprachelisten oder Regeln arbeiten. Nur ein paar unserer Kinder haben wir Aussprachehilfen gegeben, um sie und uns dadurch freizusetzen interessantere Dinge zu lernen. Wenn uns ein Ausspracheproblem auffällt, sehen wir uns die verletzte Regel an, entwickeln Aufgaben, die sich auf diese Rede beziehen, anstatt dem Kind Ausspracheübungen zu geben, die ein ganzes Jahr Arbeit bedeuten.

Was die verbale Kommunikation anbetrifft – haben sie bemerkt, dass Familien nicht mehr viel miteinander reden? Ich denke der Hauptgrund dafür ist offensichtlich: viele Leute erlauben dem Fernseher, ihre Zeiteinteilung zu bestimmen. Zu den seltenen Gelegenheiten, wenn wir einen Videorecorder ausgeliehen haben, um eine lehrreiche Kassette oder einige Familienaufnahme anzusehen, ist mir aufgefallen, dass ich einen unangenehm hohen Anteil von Zeit brauchte, um die kleineren Kinder zur Ruhe zu bringen, so dass der Rest von uns etwas hören konnte. Ich frage mich, ob das Problem nicht noch verstärkt wird, wenn es sich nicht um eine Kassette, sondern ein Fernsehprogramm handelt, dass man nicht zurückspulen und noch einmal ansehen kann.

Eine andere Sache, die ein Kind nicht tun kann, während es vor dem Fernseher sitzt, ist Denken. Ernsthafte Angelegenheiten eine längere Zeit zu bedenken ist beinahe zu einer ausgestorbenen Kunst in unserer Gesellschaft geworden. Scheinbar gibt es immer irgendwo Krach, um uns abzulenken und uns daran zu hindern, einen Gedankenzug zu entwickeln, der den Bahnhof auch verlässt. Wenn Amerikaner keine Aufgaben erledigen (und manchmal selbst dann), dann sehen Sie fern oder ein Radio dudelt nebenher. Das ziemlich offensichtliche Ergebnis ist konstante Ablenkung.

Wir können nur spekulieren, wie viel uns diese ständige Beschäftigung kostet. Niemand scheint mehr philosophischen Gedanken nachzugehen. Ich frage mich, ob unser Land je so weit gekommen wäre, wenn es elektronische Unterhaltung schon immer gegeben hätte. Ich vermute, dass unsere Gesellschaft vor einem Jahrhundert noch viel seichter und zerspaltener gewesen wäre, als es heute zu sein scheint. Hätten Lincoln, Franklin, Edison, zusammen mit anderen gebildeten Größen, je an ihre Erfolge heranreichen können, für die wir sie heute ehren? Ich kann das nur bezweifeln.

Wenn das Gespräch aufs Fernsehen kommt, ist sein Programminhalt das Hauptargument dagegen. Das ist das offensichtlichste Problem. Im Großen und Ganzen ist die Substanz des Fernsehens geistiger Müll, geistlicher und intellektueller Fusel, und jeder denkende Mensch sollte sich schämen, Zeit dafür zu verschwenden.

Einiges davon ist für den desinteressierten Beobachter augenscheinlicher Schmutz. Offensichtlich desensibilisiert aber das ständige Aufnehmen dieses „Komposts“ die Leute, denn Eltern sehen heute in Gegenwart ihrer Kinder Shows an, die vor 20 Jahren von den Behörden verboten worden wären, und über die sie selbst damals entsetzt gewesen wären. Erst kürzlich hatte ich Gelegenheit, bei einem Fremden daheim zu sein und eine Ahnung davon zu bekommen, was alles heute durchs Fernsehen in unsere Häuser kommt. Jedes zweite Wort war ein abscheulicher Fluch. Solche „lehrreichen“ Themen wie Trunkenheit und PMS7 wurden ungezwungen und humorvoll erwähnt. Ich hatte eine ordentliche Portion Unsinn gehört und war erst weniger als 15 Minuten in dem Haus.

Ein weniger offensichtliches Problem ist genauso weit verbreitet, aber wegen seiner heimtückischen Natur bedarf es mehr geistiger Anstrengung zu seiner Identifizierung. Das ist die Verabreichung großer Dosen von Nichtigkeit (wie die Bibel es nennt). Haben Sie sich je eine Spielshow angesehen? Seit ich Kind war habe ich nicht mehr als einen gelegentlichen Blick auf solche Programme geworfen, und immer beleidigten sie meine Intelligenz. Ganze Horden von Zuschauern rasten bei „traumhaften“ Preisen aus, angekündigt von einem Moderator, der offensichtlich als Marktschreier ausgebildet wurde. Eine Show zeigt den Moderator, wie er einen Teilnehmer aus dem Publikum herausruft, der dann den Gang herunterläuft und auf die Bühne klettert, wobei er in wilder Ekstase seinen Kollegen zugrinst, schreit und mit seinen Händen winkt, während seine Freunde in der Menge kreischen und ihm in einem hoffnungslosen Versuch, ihrer unkontrollierbaren Freude Ausdruck zu verleihen, zujubeln. Glauben die wirklich, dass wir dumm genug sind, um ihnen das abzunehmen? Offensichtlich sind wir es. Solche Shows werden weiterhin gesendet.

Viele der so genannten „sitcoms“8 haben überhaupt keine Substanz mehr. Erinnern sie sich an Lucy? Sie eroberte alle Zuschauerherzen, indem sie sich selbst zum kompletten Schwachkopf machte. Sie war völlig unfähig, aber wir mochten sie. Das ist lange her. Ich stimme doch mit ihnen überein, dass solche Unterhaltung sich nicht wirklich verbessert hat?

Einige der älteren Shows sind kürzlich zur „Familienunterhaltung“ wiederbelebt worden. Sie werden als harmlos angesehen, obwohl sie keinerlei intellektuelle oder geistliche Nahrung liefern. Das ist wie Essen von sterilisiertem Pappkarton. Wally und Beaver9 waren noch unschuldige Jungen, bevor sie mit Eddie Haskell10 zusammenkamen. Und „Father knows best“11 war so derart „nicht sauber, sondern rein“ (sehen sie, wie meine arme Seele durch die Fernsehsprache gezeichnet ist), wie man nur hoffen konnte, aber trugen sie wirklich etwas zur Entwicklung von echten Christen bei? Die Handlung in jeder Folge enthielt das Aufkommen und die Lösung eines Konflikts. Fast alle Probleme wurden gelöst und alle Bedürfnisse befriedigt, jedoch ohne dabei je einen Gedanken an Gott zu „verschwenden“. Er schient das Allerletzte zu sein, an das irgendjemand denken würde. In der Sendung kamen große Probleme und Gelegenheiten auf, wurden aber strikt mit menschlichen Mitteln gelöst (normalerweise innerhalb von 30 Minuten). Wollen wir solch eine Lebenseinstellung für unsere Kinder? Die Nelsons waren auch nette Leute, aber haben sie je gesehen, dass Ozzie und Harriet12 die Antwort auf eines ihrer Probleme im Gebet gesucht hätten?

Eine Menge dieser alten Filme wurden für die „Familien“-Programme ausgemottet. Nachdem ich als Kind „The Swiss Family Robinson“ (= „Die schweizer Familie Robinson“) gelesen hatte, nahm ich einmal die Einladung eines Freundes an, ihr Disney-Video zum Buch zu sehen. Was für eine Enttäuschung dieses Video doch war. In den frühen 1960ern hergestellt, war es nichts als eine blasse Karikatur der Geschichte. In Johann Wyss Buch war Vater Robinson ein Pfarrer, der seine Söhne ständig mit biblischen Grundsätzen ermahnte und sie täglich in der Familienandacht leitete. In der Disney-Version war der einzige Hinweis auf Gott, an den ich mich erinnern kann, eine Strand-Szene, gleich nachdem die Familie das Schiffsunglück überlebt hatte und sicher zum Strand gekommen war. Mutter Robinson hat ihren Mann auch noch erinnern müssen, dass hier mal Danksagung angezeigt sei.

Kinder nehmen entehrende Haltungen und Werte auf, während sie fernsehen. Sie schleichen sich über die Jahre viel subtiler ein, als das Eindringen von Sex und Gottlosigkeit. Ein Hauptfaktor dieses Prozesses ist etwas, das ich nicht mit dem richtigen psychologischen Ausdruck zu benennen weiß. Ich glaube, sie nennen es Stellvertreter-„Irgendwas“ oder so ähnlich. Ich nenne es Identifikation mit dem Schauspieler.

Ihnen ist vielleicht auch schon aufgefallen, dass sie dahin tendieren, einige Gefühle der Hauptfigur der Geschichte zu teilen, wenn sie fernsehen oder ein Buch lesen. Diese Figur, „Protagonist“ (= Hauptakteur) genannt, macht alle möglichen Erfahrungen und wir teilen sie in unserer Phantasie mit ihm. Deshalb wächst die Spannung bei uns Zuschauern und es stellen sich uns die Nackenhaare auf, wenn die Heldin die Treppe in der alten Spukvilla hochkommt, wo der gemeingefährliche Wahnsinnige mit seinem Fallbeil auf der Lauer liegt. Ich erinnere mich an einen Horrorfilm, den ich mir als Junge im Fernsehen angesehen habe. Als die Handlung spannender wurde, wich ich von meinem gewöhnlichen Platz auf dem Fußboden, an dem meine Nase sich beinahe am Bildschirm rieb, zurück. Jedes Mal, wenn die Spannung stieg, wich ich weiter zurück, bis ich am Ende der Sendung neben dem Lehnsessel meines Vaters saß. Ein anderes Mal, als ich noch als Schüler auf der weiterführenden Schule war, nahm ein Kumpel mich zu einem Autokino (erinnern sie sich daran?) mit, um einen Horror-Thriller zu sehen. Die Handlung näherte sich ihrem schrecklichen Höhepunkt und die unheimliche Musik wurde immer schriller. Meine innere Anspannung stieg mehr und mehr, mein Atem ging flach und mein Herz schlug hart. Als Kenny leise von hinten an mich herantrat und mich am Schulterende antippte, bekam ich fast einen Herzschlag. Sie kennen dasselbe mit anderen Gefühlen bei einer Liebesszene oder haben schon die Aufregung bei einem Raub durch die Augen des Räubers gefühlt und dann Pläne geschmiedet, wie sie mit dem Geraubten fliehen könnten. Wir neigen dazu, uns emotionell mit dem beobachteten Darsteller zu identifizieren.

Hat das alles denn überhaupt eine Bedeutung? Ja, das hat es. Unsere Einstellungen sind mentale Strukturen, die aus unseren Gedanken aufgebaut sind und von ihnen umgeben werden. Die Ernährungsexperten sagen uns, dass wir körperlich das sind, was wir essen. Geistlich gesehen sagt die Bibel uns: „Du bist, was du denkst (Sprüche 23,7).“ Wir können unser Gemüt nicht mit einem konstant fließenden Strom von gottlosen Gefühlen füllen und trotzdem göttliche Haltungen aufbauen. Sprüche 13,20 sagt: „Der Umgang mit den Weisen macht weise, wer sich aber mit Narren einlässt, dem geht es schlecht.“ Ein Freund von mir teilte mir mal die Version seiner Großmutter zu dieser Ermahnung mit: „Wenn du dich mit Hunden hinlegst, wirst du mit Flöhen aufstehen.“ Wenn wir uns in einen Fernseh-Schauspieler hineinversetzen, dann programmieren wir seine dargestellten Haltungen in unser Gemüt hinein.

Dieser Prozess, dass wir uns die Haltungen von Fernseh-Schauspielern zueigen machen, ist es Wert, dass man noch mehr darüber nachdenkt. Niemand bestreitet das, weil wir alle viele Male gesehen haben, wie Kinder Handlungen und Reden von Leuten nachgemacht haben, die sie im Fernsehen gesehen haben. Ein 18-jähriger Freund von mir lag eines Tages auf dem Sofa, als sein kleiner 5-jähriger Bruder vorbeiging, ihn an seinem Hemd packte und knurrend zwischen seinen Zähnen hervorstieß: „Komm schon, Dreckskerl. Rette meinen Tag!“

Welche Haltungen bietet uns das Fernsehen an? Die offensichtlicheren sind Gewalt, Sinnlichkeit, Rebellion und Respektlosigkeit. Es gibt aber noch weitere Haltungen und Werte, die weniger offensichtlich sind.

Auch wenn fernsehsüchtige Schüler von mir mich gedrängt haben, die folgende Aussage abzuändern, so kenne ich doch nur eine gespielte Person, die man regelmäßig im Privatfernsehen sehen kann, nämlich Felix Unger aus der Sendung „The Odd Couple“ (= „Das ungleiche Paar“), die als jemand dargestellt wird, der den Geschmack eines Erwachsenen für gute Musik hat und dessen Sprache vermuten lässt, dass er tatsächlich schon mal ein Buch in seinem Leben gelesen hat. Es ist bemerkenswert, dass die Mehrzahl der im Fernsehen dargestellten Erwachsenen funktionelle Analphabeten sind, nicht nur in dem Sinne, dass sie noch nie etwas aus einem Buch gelernt zu haben scheinen, sondern auch wegen des völligen Fehlens auch nur des kleinsten Hinweises auf eine Gewohnheit zum Nachdenken. („Das ungleiche Paar“, das heute nur noch als Wiederholung gezeigt wird, zeigt komischerweise in Felix Unger nicht nur eine des Lesens und Schreibens mächtige Person, sondern eine auffällige Besonderheit in der Person seines Partners, Oscar Madison, welcher als Schriftsteller ein funktionaler Analphabet ist).13

Noch ein weiteres, von mir beobachtetes Phänomen spielt hier eine Rolle. Ganz sicher gibt es auch dafür einen eindrucksvollen psychologischen Fachausdruck, vielleicht Gewöhnung oder Akklimatisierung oder Desensibilisierung. Mir ist nicht bekannt, ob irgendeiner dieser Begriffe fachlich richtig ist, aber zerbrechen wir uns jetzt mal nicht den Kopf darüber. Außerdem befinde ich mich hier nicht in einer Prüfung. Ich spreche über das Phänomen, dass wir das als normal ansehen, was wir häufig sehen.

Menschen haben eine bemerkenswerte Fähigkeit, sich an etwas zu gewöhnen. Als ich die weiterführende Schule 1970 abschloss, hätte ich keinen von meinen Bekannten nennen können, der Abtreibung befürwortet hätte. Heute haben wir so viel darüber gesehen und gehört, dass der amerikanische Otto-Normalverbraucher vergessen hat, dass ein ungeborenes Baby immer noch ein Baby ist. Dasselbe gilt für Sex und Respektlosigkeit im Fernsehen. Die Leute denken wenig über einen Fernsehfilm nach, der voller Fäkal-Sprache ist, weil man das täglich kübelweise sehen und hören kann. Wenn sie aber einen Einwohner aus den 50er- in die 90er-Jahre versetzen und ihm solche Programme zeigen könnten, dann würde er sich wie in einem schwedischen Bordell vorkommen. Ich habe schon in einem früheren Kapitel angedeutet, dass wir Gruppen von Gleichaltrigen inzwischen als normal ansehen. Wieso? Weil wir es während unseres ganzen Lebens nicht anders kennen. Von der Bibel her gesehen ist Trennung nach Alter so merkwürdig, als wenn Vögel rückwärts fliegen würden. Weil wir es aber jeden Tag so praktiziert sehen, erscheint es uns inzwischen als etwas Normales und Natürliches.

Darin liegt eine weitere Gefahr beim Fernsehen. In der „magischen Röhre“ können wir jeden Tag dutzende von Malen wiederholt Unmoral, Mord und Gotteslästerung sehen. Es kratzt uns im Fernsehen nicht mehr. Ich glaube, dass uns das konditioniert hat, weniger überrascht zu sein, wenn es im wirklichen Leben passiert.

Als die Kolumnistin Erma Bombeck einer Sendeanstalt über Gewalt im Fernsehen schrieb, hat sie auch diesen Effekt des Fernsehens angeschnitten:

Sie führte aus, was sie während eines einzigen Nachmittags gesehen hatte: zwölf Leute wurden erschossen, zwei gefoltert, einer in ein Schwimmbecken geworfen, es gab zwei Autoexplosionen, eine Vergewaltigung und einen Mann zu sehen, der mit einem Messer im Bauch zwei Blocks weit gekrochen war. „Wissen sie was?“ sagte sie. „Ich fühlte weder Ärger, noch Schock, Horror, Erregung oder Abscheu. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich gar nichts fühlte. Durch wiederholtes Überschütten mit einem Gewaltakt nach dem anderen haben sie mir etwas genommen, das mir wertvoll war, das mich Mitleid und Fürsorglichkeit empfinden ließ, nämlich den Instinkt des Mitgefühls.“14

In dem Beitrag wurde der Verbrecher nicht genannt, der Frau Bombeck an ihren Stuhl gefesselt und sie gezwungen hat, dies ganze Chaos anzuschauen. Zweifellos steht viel Chaos für diejenigen bereit, die sich ihm aussetzen möchten:

Heutzutage gibt es mehr brutale Gewalt und unverhüllten Sex im Fernsehen als je zuvor. Man schätzt dass ein 18-jähriger Zeuge von mehr als 15.000 Morden im Fernsehen oder in Filmen geworden ist. Untersuchungen zeigen, dass es für Kinder und selbst noch für Jugendliche schwierig ist, zwischen Schein und Realität zu unterscheiden. Wenn man den Forschern glauben kann, dann ist „… das ständige Anschauen von Gewaltszenen im Fernsehen einer der Gründe für aggressives Verhalten, Kriminalität und Gewalttätigkeit in der Gesellschaft. Die Gewalt im Fernsehen beeinflusst jüngere Menschen allen Alters, beiderlei Geschlechts, auf allen soziokulturellen Ebenen und Intelligenzniveaus. … Es kann nicht geleugnet oder wegerklärt werden.“ Zusätzlich deckte eine Umfrage von 1991 auf, dass nur 2 % der Befragten meinten, dass das Fernsehen den größten Einfluss auf die Werthaltungen von Kinder haben sollte, aber 56 % glaubten, dass es den größten Einfluss hat, und zwar mehr als Eltern, Lehrer und religiöse Führer zusammengenommen.15

Ob das Problem im Fernsehprogramm nun Gewalt, Unmoral, Atheismus, Materialismus oder einfach nur Verdummung heißt, die konstanten, sich wiederholenden Fälle senden unserem Gehirn eine klare Botschaft: Das ist normal, dies ist das wahre Leben, das ist der normale Gang der Dinge.

Die elektronische „Idiotenkiste“ gehört zum Inventar der modernen Gesellschaft. Ihre hypnotische Kraft ist derart groß, dass selbst diejenigen, die zustimmen würden, dass das Allermeiste im Fernsehen Gerümpel ist, sich selbst in der Regel nicht davon trennen können. Beinahe jeder Zuhause in Amerika hat einen, viele sogar mehr als einen Fernseher. Und viele Haushalte haben immer zumindest ein Gerät den ganzen Tag lang laufen. Es wäre sehr schwer zu beweisen, dass Fernsehen irgendjemandem mehr helfen als ihm schaden kann, wobei Kinder wahrscheinlich am meisten geschädigt werden. Albert Bandura, ein Psychologe an der Stanford University, sagte sehr richtig:

Wenn Eltern Beeinflussungs-Päckchen kaufen und ihren Kinder regelmäßig verabreichen könnten, dann zweifle ich daran, dass viele absichtlich Revolverhelden, mit Drogen vollgepumpte Psychopathen, geistesgestörte Sadisten, Slap-Stick-Clowns und ähnliches wählen würden – es sei denn, sie wollten ziemlich eigentümliche Ambitionen ihres Nachwuchses bedienen. Doch genau diese Verhaltensbeispiele werden in Massen ohne Extrakosten Millionen von Haushalten geliefert.16

Der soziale Einfluss des Fernsehens auf Kinder verdient eine lange und ernste Betrachtung. Seine Botschaft des Egozentrismus, der Eitelkeit, Gewalt, Sinnlichkeit und des Okkulten sind wohl kaum die Lektionen, die wir unseren Kindern über die Welt um sie her beibringen wollen. Trotzdem werden Elemente dieser Botschaften täglich durch clevere Werbesendungen, endlose Wiederholungen, dramatische Szenen und geschickt arrangierte Schauspielerei, die dem Kind beibringen, die Welt durch die Augen des Darstellers auf dem Schirm zu sehen, ins Haus der normalen Kinder gesendet.

 

1 Robert M. Liebert, Joyce N. Sprafkin, Emily S. Davidson: The Early Window (= “Die frühe Prägung”). Pergamon Press. 1982. S. 98.

2 = „Grabstein-Revier“, eine amerikanische Western-Abenteuerserie.

3 Winn, Marie: Unplugging the Plug-in Drug (=„Den Stecker der Fernseh-Droge ziehen“). Penguin Books. 1987. S. 16.

4 Ein großer, gelber Vogel aus der Sesamstraße. In Amerika heißt er einfach nur „Big Bird“ (= „Großer Vogel“).

5 Maeroff, Gene: Don’t Blame the Kids (= „Gebt nicht den Kindern die Schuld“). McGraw-Hill. 1982. S. 32.

6 Ein mildes Sedativum (Beruhigungsmittel) und Antihistaminikum (Mittel gegen Heuschnupfen).

7 PMS = Prämenstruelles Syndrom. Fast 75 Prozent der Frauen haben einige Tage vor ihrer Menstruationsblutung Stimmungsschwankungen, Müdigkeit, Reizbarkeit, depressive Verstimmung oder Bauchschmerzen. Beeinträchtigen diese Symptome jedoch ihren Tagesablauf oder ihre Aktivitäten, spricht man vom Prämenstruellen Syndrom (PMS). Lehrbüchern zufolge leiden etwa 20 bis 30 Prozent aller Frauen regelmäßig darunter. Typischerweise verschwinden diese Beschwerden zu Beginn des nachfolgenden Zyklus wieder.

8 situation comedy = Situationskomödie, eine Serie von Radio- oder Fernsehkomödien mit unverbundenen Episoden bei gleich bleibenden Rollen.

9 Die Serie „Leave It To Beaver” (= “Überlass es Beaver”) lief von 1957-1963 im amerikanischen Fernsehen. Theodore (Beaver) war zu Anfang der 7 Jahre alte Sohn der Cleaver-Familie. Er war als Hauptdarsteller ein für seine Zeit typischer, naiver Junge, mehr an Spielfröschen als an Mädchen interessiert.

10 Eddie Haskell war Spielgefährte von Wally, des anfangs 12-jährigen Cleaver-Sohnes. Eddy war Erwachsenen gegenüber scheinheilig, aber gemein zu kleineren Kindern.

11 Eine Mittelklasse-Familien-Serie, die von 1954-1963 in Amerika lief (203 Folgen!). Inhalt war eine heile Welt, in der Mütter noch Mütter, Kinder noch Kinder sein durften und die Väter das letzte Wort hatten.

12 “The Adventures Of Ozzie And Harriet(= “Die Abenteuer von Ozzie und Harriet”) war eine der am längsten laufenden Familien-Serien Amerikas (1952-1966). Ozzie und Harriet Nelson und ihre Söhne David und Ricky (16 bzw. 13, als die Serie begann) spielten sich selbst. Die Nelson-Familie verkörperte heile, normale amerikanische Lebensart. Sie waren so gewissenhaft, dass ihre Namen für Jahrzehnte stellvertretend für aufrichtiges, glückliches Familienleben standen.

13 Postman, Neil: The Disappearance of Childhood (= „Das Verschwinden der Kindheit“). Delacorte Press. 1981. S. 27.

14 Tuchsherer, Pamela: TV Interactive Toys, The New High Tech Threat to Children (= „Interaktives Fernseh-Spielzeug, die neue Hochtechnologie-Bedrohung für Kinder“). Pnaroo Publishing, 1988. S.49.

15 Bennett, William J.: Index of Leading Cultural Indicators (= „Verzeichnis der leitenden Kultur-Anzeiger“). The Heritage Foundation. 1993. S.20.

16 Robert M. Liebert, Joyce N. Sprafkin, Emily S. Davidson: The Early Window (= „Die frühe Prägung“). Pergamon Press. 1982. S.8.